Essen. Die strategische Partnerschaft mit der Frankfurter Großmesse „Automechanika“ soll die Aussteller überzeugen, dem Standort Essen die Treue zu halten. Allerdings wird der Bundesverband Reifenhandel dagegen arbeiten, der in Köln einen neuen Anfang plant.
Messe-Chef Oliver P. Kuhrt war der Triumph über diesen Coup anzumerken: Die Messe Essen will den Weggang der umsatzträchtigen Industriemesse „Reifen“ nicht kampflos hinnehmen und hat in den letzten Monaten eine strategische Partnerschaft mit der Messe Frankfurt eingefädelt, wo alle zwei Jahre die „Automechanika“ stattfindet. Mit dieser Weltmesse im Rücken will Kuhrt die „Reifen“ ab 2018 weiterhin in Essen stattfinden lassen, dann ohne den Bundesverband Reifenhandel, der am Tag nach dem Messe-Bürgerentscheid im Januar bekanntgab, künftig mit der Messe Köln kooperieren zu wollen.
Konkret verbindet Kuhrt mit der „Automechanika“ eine Hoffnung: Die Partnerschaft mit der Weltmesse für Werkstatt-, Service- und Autohandelbedarf soll neue Aussteller nach Essen ziehen und die alten überzeugen, Essen treu zu bleiben und nicht dem Verband nach Köln folgen. „Es gab ermutigende Signale, viele fanden die Entscheidung nicht gut und würden gern in Essen bleiben“, so Kuhrt. Das sei mehr als verständlich: „Die Reifen ist ein echtes Essener Eigengewächs, eine Erfolgsgeschichte seit 1960, die muss in Essen bleiben.“ Als klassischer Branchentreff mit hoher Internationalität - zwei von drei Ausstellern kommen aus dem Ausland - ist die Reifen zudem für die Messe ein Ertragsbringer und für Hotels und andere Dienstleister in Essen ein wichtiger Umsatzfaktor.
Die Vorteile der kompakten Messe Essen, die verkehrlich perfekt angebunden und in einem pulsierenden Stadtteil integriert sei, lägen auf der Hand, so Kuhrt. Zudem könne man der Branche die berechtigte Hoffnung machen, dass die ärgsten baulichen Probleme der Messe Essen bis 2018 im Rahmen der „kleinen Umbaulösung“ behoben sind.
Die Reifen ist noch nicht über den Berg
„Mit der Internationalität, die wir einbringen können, zahlen wir auf die Reifen in Essen ein“, sagt gestern Michael Johannes, Bereichsleiter der Automechanika. Umgekehrt profitiere natürlich auch die Messe Frankfurt: „Wir können unseren Kunden auf den Auslandsmärkten dank der Profis in Essen demnächst die volle Wertschöpfungskette inklusive Reifen anbieten.“ Neben der Leitmesse in Frankfurt veranstaltet die Automechanika auch Auslandsmessen in 14 Ländern, zum Teil in enger Nachbarschaft mit der Reifen, die künftig nur noch im Rahmen der Automechanika auftritt. „Für uns ist das die perfekte Ergänzung, eine Winwin-Situation für beide Seiten“, so Michael Johannes. Zusammenarbeit soll es etwa bei Vertrieb und Marketing geben, auch sind Paketlösungen für Aussteller denkbar, hieß es.
Gleichwohl ist die Reifen damit noch nicht über den Berg. Messe-Chef Kuhrt räumte ein, nun drohten „Kannibalisierungseffekte“, weil ab 2018 nahezu zeitgleich verwandte Messen in Essen und Köln stattfänden, und der Markt mittelfristig wohl nur eine annimmt. „Ich bin jetzt aber zuversichtlich, dass wir den Konkurrenzkampf bestehen können.“ Die Messe Frankfurt sei die erfolgreichste Messe Deutschlands, die Partnerschaft mit Essen auch ein klares Signal in die Messebranche, dass mit Essen trotz der Querelen der letzten Jahre zu rechnen ist, so Kuhrt.
Kurzintervie mit dem Messe-Chef:
Herr Kuhrt, wie ist es möglich, dass der Reifenverband Essen verlassen will, die Reifen-Messe aber bleiben kann?
Der Bundesverband Reifenhandel ist nicht Veranstalter der Messe, sondern nur ideeller Partner. Veranstalter ist die Messe Essen, und wir besitzen auch die Rechte am Markennamen „Reifen“. Der Name ist wertvoll, deshalb sind wir guten Mutes, dass wir die Reifen gemeinsam mit unserem neuen strategischen Partner, der Automechanika, erfolgreich weiterführen können. Wir sind auf Wachstum ausgerichtet.
Was macht Sie so sicher? Der Reifenverband wird ja seine Mitglieder nach Köln ziehen wollen.
Sicher, aber jeder Aussteller entscheidet das letztlich für sich alleine, und wir in Essen können diese lange Erfolgsgeschichte seit 1960 und unsere aktuellen Leistungen vorweisen. Hinzu kommt: Nur 15 Prozent der Aussteller sind dem Branchenverband angeschlossen.
Darunter aber einige der ganz großen Unternehmen.
Das ist richtig. Und deshalb müssen wir uns auch sehr anstrengen. Unser Vorteil ist: Unter den ausländischen Ausstellern, das sind zwei Drittel unserer Kunden, ist der Verband weitgehend unbekannt. Viele fühlen sich in Essen wohl und haben nach meiner Wahrnehmung kein Interesse, den Standort zu wechseln.
Droht aber mit zwei Messen zum Thema Reifen nicht ab 2018 eine Kannibalisierung?
Es wird jedenfalls einen verstärkten Wettbewerb geben, und auf Dauer ist tatsächlich fraglich, ob es am Markt Platz für zwei Veranstaltungen gibt. Dank der Partnerschaft und der Aussicht auf modernisierte Hallen und Eingangsbereiche fühlen wir uns für den Konkurrenzkampf aber gut gerüstet.
Warum veranstalten Sie die Reifen nicht in ungeraden Jahren, dann wenn in Köln keine „Tires Cologne“ stattfindet?
Weil wir dann mit anderen Messen in Essen kollidieren. Außerdem gibt es zwei große Fehler, die sie bei einer gut eingeführten Messe machen können: den Termin zu ändern und den Namen zu wechseln.
Warum passen Essen und Frankfurt aus Ihrer Sicht so gut zusammen?
Die Reifen und die Automechanika sind die führenden Messen ihrer Branchen: die Reifen als Spezialmesse für die Reifen-Branche und die Automechanika für die Fachzielgruppen aus Werkstatt, Service und Handel. Beide Veranstaltungen zählen zu den internationalsten Messe-Events in Deutschland. Wir können sehr stark voneinander profitieren, weil wir sehr ähnliche Zielgruppen bedienen.
Wie werden die letzten zwei Messen mit dem Reifen-Verband abgewickelt? Gibt es nicht viel Streit?
Da sind wir professionell, das ist doch klar. Wir bieten den gewohnten guten Service der Messe Essen .