Die 4a der Karl-Schule hatte an diesem Dienstagmorgen schon Deutsch, Wochenplanarbeit und Sachunterricht. Jetzt steht für Chiara und Charleen, Alem und Özge, Milan und The Anh etwas ganz Neues auf dem Stundenplan: Schach - das alte Spiel der Könige. Ebenso ungewöhnlich ist der Ort dieses spielerischen Rendezvous: das „Allee-Center“ in Altenessen.
Sebastian Siebrecht, der Essener Großmeister, ein charmanter Schach-Besessener und innovativer Unternehmer, ist hier ganz in seinem Element. „Ich will Schach rausholen aus den Hinterzimmern von Kneipen, ich will Schach als Erlebnissport kreieren, ja, es soll ein Schulfach werden“, sagt er. Mitten im Erdgeschoss, zwischen Boutiquen und Bäckerei, zwischen Juwelier und Donuts-Laden, hat Siebrecht für die „Schachwoche Essen“ einen Turniersaal eingerichtet: Biertischgarnituren mit 15 Brettern, ein Magnetschach und ein Gartenschach - natürlich auf einem eigens ausgerollten Belag aus schwarz-weißen Feldern.
„Wer von Euch hat’s schon mal gespielt?“, fragt der Großmeister, und einige Karl-Schüler recken fingerschnipsend die Arme hoch. Dann, halb Pädagoge und ein bisschen Märchenonkel, sagt er: „Das Schachbrett müsst Ihr euch vorstellen wie eine Ritterburg, in den Ecken stehen die Wachtürme und mittendrin das Königspaar.“
Sarah Jordan, die Klassenlehrerin, fasziniert, wie schnell der Meister seine kleinen Lehrlinge in den Bann zieht. „Diese Schnupperstunde gibt einen tollen Impuls, nun kommt’s auf die Schüler an, selber aktiv zu werden“, sagt sie. Und fügt seufzend hinzu, welch monströser elektronischer Reizüberflutung ihre 26 Schüler, davon zwei Drittel mit Migrationshintergrund, ausgesetzt sind. Bezeichnend: Gut die Hälfte ihrer Viertklässler besitzt längst ein Smartphone, da ist elektronische Dauer-Berieselung garantiert.
Genau hier will Siebrecht, der Weltverbesserer, ansetzen. „Denken macht Spaß“, hält er dagegen, und betont: „Schach schult nachweislich die Konzentrationsfähigkeit, fördert vorausschauendes Denken und ist extrem integrativ.“
Jetzt rauschen Damen, Türme und Läufer über die 64 Felder, so mancher ist plötzlich schachmatt - und trotzdem glücklich. Die Münsterschüler, die nun an der Reihe sind, kennen das Brettspiel schon von der Schach AG. Tristan greift sich beherzt den Springer, jagt ihn Haken schlagend übers ganze Brett, und ringt dem Meister („Klasse!“) ein dickes Lob ab.
Sarah Jordan und ihre 4a hat Siebrecht offenbar heftig mit dem Schach-Virus infiziert. Denn sie sagt: „Wir überlegen, demnächst eine Schach-AG einzurichten, eine Lehrerin ist interessiert. Wir sind eine aktive Schule.“