Essen. Beim 30. Theatertreffen für ein junges Publikum wurde viel gespielt und diskutiert. Am Ende gab es gleich mehrere Sieger und noch mehr gute Bespiele für lebendiges Kinder- und Jugendtheater in NRW.

Spielen, bis der Arzt kommt. Am Samstagabend hatten sie ans Theater-Publikum sogar blaue OP-Kittelchen verteilt, nebst Mundschutz. Kein Warnzeichen für fortgeschrittene Theaterritis, die nach einer Woche so ziemlich jeden „Westwind“-Teilnehmer befallen hatte, sondern eine der vielen ungewöhnlichen Regie-Ideen, mit denen das 30. Festival für Junges Publikum in Essen über die Bühne ging.

Neun ausgewählte Vorstellungen, 3000 begeisterte Zuschauer, jede Menge angeregte Inszenierungsgespräche und viele restlos ausverkaufte Vorstellungen: „Das Festival hat eindrücklich unter Beweis gestellt, dass das Kinder- und Jugendtheater in NRW höchst lebendig ist, mehr noch, dass es eine Kraft entfalten kann, mit der die Grenzen zwischen den Kulturen überwunden und das friedliche Miteinander in einer toleranteren Gesellschaft befördert werden können“, sagte Schauspiel-Intendant Christian Tombeil zum Abschluss.

Das Miteinander der Kulturen war dabei nicht nur in den Diskussionsrunden Thema, in denen die Berliner Kulturwissenschaftlerin Azadeh Sharifi beispielsweise mit Politikern und Theaterleuten über ihre „Bestandsaufnahme zum postmigrantischen Theater für junges Publikum in NRW“ sprach.

Viele Gewinner beim Westwind-Festival

Die Jury des Westwind-Festivals mit Ute Pinkert, Karsten Dahlem und Johan de Smet hat am Sonntagabend zwei Sieger gekürt. Der erste ging an das Kölner Theater Pulk Fiktion für „Papas Arme sind ein Boot“ und wurde mit 7000 Euro belohnt. Platz zwei ging an die „Bremer Stadtmusikanten“ vom Theater Marabu Bonn und gewann 3000 Euro. Der „Robinson Crusoe“ aus Mülheim und das „Hasenland“ vom Comedia Theater Köln erhielten eine besondere Erwähnung.

Die „Young Experts
“ des Schauspiel Essen prämierten ihre eigenen Favoriten. Auf Platz eins landete das Theater Bielefeld mit Wajdi Mouawads Stück „Die Durstigen“. Auf dem zweiten Rang: „Zigeuner-Boxer“ vom Westfälischen Landestheater Castrop-Rauxel.

Um eine Auseinandersetzung mit dem Anderen ging es auch in den Stücken, wie beispielsweise bei „Robinson Crusoe“ in der hochmusikalischen und spielfreudigen Fassung des Mülheimer Theaters an der Ruhr, das sich so ziemlich jeder Darstellungsform bedient vom Schatten- bis zum Puppenspiel. Und bevor aus Robinson, dem Nachhilfe- und Klavierunterricht-geplagten Zögling mit der großen Seelust, schließlich der schiffbrüchige Kumpan von Freitag wird, erhebt sich auf der Bühne mit wackelnden Holzplanken und einem Mineralwasserfontänen-spuckenden Schauspieler ein wild-tobender Sturm, als hätte Katastrophen-Kinoexperte Roland Emmerich Regie geführt.

Die Jury entschied sich mit „Papas Arme sind ein Boot“ allerdings für eine stillere Arbeit. Die Produktion des Kölner Pulk Fiktion Theaters braucht nur wenige Geräusche, Zeichnungen, Video und wenige Worten, um einen performativ-theatralen Entdeckungsraum aus kleinen Momenten des Lebens zu formen, der dann entsteht, wenn die Mama plötzlich tot und Papas Arme der ganze Halt geworden ist.

Um Verlust, beispielsweise von Lebensmut und gesellschaftlicher Aufgabe, geht es schließlich auch bei den „Bremer Stadtmusikanten“ des Bonner Theater Marabu. Das tierische Gleichnis von Esel, Hund, Katz und Hahn, die von ihren Aufgaben plötzlich freigestellt sind, gewann den zweiten Hauptpreis. Die vom Land NRW bereit gestellten 10.000 Euro Preisgeld erwiesen sich so als ideelle und finanzielle Stärkung für die freien Theater des Landes, die zumindest in diesem Jahr bei der Jury vorne lagen.