Für ein paar Stunden ist Essen am Sonntag zu einer Hochburg des Ausdauersportes geworden. Mehr als 7000 Läufer nahmen nach Angaben des Veranstalters an der zweiten Ausgabe des „Vivawest“-Marathons teil, inklusive Halbmarathon und Zehn-Kilometer-Lauf in Gladbeck. Die lange Distanz mit Start und Ziel in Gelsenkirchen führte gut 17 Kilometer durch Essens nördliche Stadtteile und die Innenstadt. Im Vergleich zum Vorjahr kamen mehr Zuschauer an die Strecke, zu einem Massenereignis wurde der Marathon in Essen aber nicht.

Es ist kurz vor halb zehn auf Zeche Zollverein – und erstmal ungeplantes Warten angesagt. Ja, wo bleiben denn die Läufer? Der Moderator vor der kleinen Bühne ist zunächst ratlos, und ein Ordner scherzt schon: „Ich hätte das Schild auf der Ernestinenstraße besser doch nicht umdrehen sollen.“ Kurze Zeit später kommt dann die Information, dass der Start in Gelsenkirchen verschoben wurde. Der Grund: Auf der Strecke stehen einige falsch geparkte Autos herum. Der Startschuss für Marathon und Halbmarathon fällt eine halbe Stunde später.

Ruhrgebiets-Nostalgie pur

Kein Problem, denn vor der Kulisse des riesigen Doppelbocks von Schacht zwölf lässt sich die Wartezeit prima mit einer Prise Ruhrgebiets-Nostalgie überbrücken. Der letzte Essener Knappenverein „Bergmannsglück“ aus Altenessen wird vorgestellt, und aus den Boxen tönt dazu passend mehrfach das „Steigerlied“ – die Kumpel schmettern stolz und textsicher mit. Auch der Durchlauf der Läufer wird kurz darauf von den Klängen des Bergmannslied begleitet.

Nicht nur die kostenlose Bildung im traditionellen Liedgut ist ein Vorteil der Verspätung, so sehen auch mehr Menschen die vorbeikommenden Läufer. Denn trotz strahlenden Sonnenscheins und frühsommerlicher Temperaturen ist die Zahl der Zuschauer anfangs recht überschaubar. Nach und nach kommen mehr Leute zum zentralen Treff auf Zollverein, von einem Menschenauflauf kann man dennoch nicht sprechen.

„Es ist vielleicht ein bisschen früh“, meint Birgit Lecher, die zusammen mit ihrem Mann ihre beiden Söhne anfeuert. Beide laufen den Marathon. Ein Stück weiter hat Kathi Hendricks mit ihrer Familie ein Plakat an der Absperrung angebracht. „Unsere Steffi ist die Beste. Go Steffi Go“, steht dort geschrieben. Auch sie hat mit mehr Zuschauern gerechnet. „Spaß haben wir aber trotzdem.“ Das gilt für die meisten hier: Wer gekommen ist, sorgt für richtig gute Stimmung.

Mittlerweile sind die Spitzenläufer durch, und das breite Feld ist auf Zollverein angekommen. Von hier aus geht es erst eine Schleife über das Gelände des Weltkulturerbes, dann weiter nach Stoppenberg, Altenessen und in die Innenstadt, von dort über Bochold und Bergeborbeck nach Bottrop.

Auf dem Weg ins Zentrum passieren die Läufer den Hugenkamp, eine kleine Straße in Stoppenberg. Familie Kemmering hat zusammen mit Freunden das Frühstück kurzerhand auf den Gehweg verlegt. Gabi Kemmering spornt ausnahmslos alle Sportler mit lauten Rufen zu Höchstleistungen an – wobei der eine oder andere bestimmt gerne die Qualen des Laufens beenden und sich stattdessen zu frischen Brötchen und Kaffee dazu gesellen würde.

Das macht natürlich dann doch keiner, die Teilnehmer streben schließlich alle dem weit entfernten Ziel entgegen. Ein paar Kilometer weiter steht die wohl größte Besonderheit des Ruhrgebietsmarathon an: Die Strecke führt mitten durch die Rathaus-Galerie. Auch in der Innenstadt ist der Zuschauerandrang ausbaufähig. Trotzdem behält die Wuppertaler Trommelschule „Pentaton“ unermüdlich ihren schnellen Rhythmus bei, selbst für den allerletzten Nachzügler. Und auf Zollverein spielen sie wahrscheinlich immer noch das Steigerlied. Glückauf – bis ins Ziel!