Miguel Millan konnte nach einem Unfall als Kind nicht mehr lesen und schreiben. Über 30 Jahre ist er als Hilfsgärtner in der Essener Gruga beschäftigt. Jetzt drückt der 51-Jährige bei der VHS noch einmal die Schulbank. „Weil ich mich nicht mehr verstecken will und meinen Hauptschul-Abschluss machen möchte.“

Miguel Millan ist 51. Seit über 30 Jahren arbeitet er als Hilfsgärtner im Grugapark. Ein fleißiger Mann, den seine Vorgesetzten vom städtischen Betrieb „Grün und Gruga“ schätzen. Ein Mann, der bis vor wenigen Monaten nicht lesen und nicht schreiben konnte. Das lernt Miguel Millan gerade in einem Kurs der Volkshochschule. Weil er keine Angst mehr haben will, als „Analphabet“ aufzufallen – und „endlich richtig am Leben teilhaben“ möchte.

Der Sohn eines spanischen Gastarbeiters und einer deutschen Mutter hat als Kind das Lesen und Schreiben gelernt. Er hat eine Grundschule in Essen besucht, dann eine Hauptschule. Sein zweites Leben begann, als er als Zwölfjähriger bei einem Streit mit einem Mitschüler vor ein Auto lief und dabei schwer verletzt wurde. In seinem Kopf sei danach alles wie gelöscht gewesen, erzählt Millan. „Ich musste wieder sprechen und denken lernen.“ Anderthalb Jahre war er im Krankenhaus.

„Ich wollte einen Job und auf eigenen Füßen stehen“

Von dem Unfall ist eine starke Gehbehinderung zurückgeblieben. Als er einigermaßen körperlich wiederhergestellt war, hätte er als 15-Jähriger eigentlich zur Schule gehen müssen. „Ich habe mich geweigert, wollte nicht noch einmal wie ein I-Dötzchen das ABC lernen. Der Gedanke hat in mir Panik verursacht.“ Seine Mutter zog mit ihm nach Madrid. Der Vater blieb in Essen, um Geld zu verdienen. „Ich habe in Spanien eine Arbeit gesucht, aber keine gefunden.“ Als er 17 war, holte ihn der Vater zurück nach Deutschland. Millan ging täglich zum Essener Arbeitsamt. „Ich wollte unbedingt einen Job, auf eigenen Füßen stehen.“ Nach neun Monaten bot man ihm einen Job an – zunächst als Hilfsgärtner auf einem Friedhof. Dann bekam er einen festen Vertrag als Hilfsgärtner in der Gruga. Und auch hier begann ein Versteckspiel.

„Ich habe gearbeitet wie ein Wilder, damit niemand auf die Idee kam, ich könnte doch mal zwischendurch Schreibarbeiten erledigen.“ In den Pausen griff er zu Zeitungen, die die Kollegen mitbrachten. „Ich war immer unter Druck, hatte Angst, zog mich zurück.“ Dass er nicht lesen und nicht schreiben konnte, vertraute er schließlich seinem Meister an, als der ihn auf eine Fortbildung schicken wollte.

„Ich konnte meinen Namen unter einen Mietvertrag setzen und die Quittung für meinen Einkauf lesen und bezahlen, viel mehr aber auch nicht.“ Bei alltäglichen Dingen, die ihn überforderten, half ihm seine Freundin. Weil ihn sein Versteckspiel immer mehr quälte, suchte er schließlich Hilfe bei einer Psychologin, die ihm riet, in die Offensive zu gehen und noch einmal die Schulbank zu drücken. Das macht Miguel Millan nun seit September bei der VHS und dabei gute Fortschritte. „Ich will endlich lesen, mitreden können, auf Menschen nicht mehr ängstlich, sondern offen zugehen“, sagt er.

Seine großen Ziele: „Ich möchte den Führerschein machen und unbedingt meinen Hauptschul-Abschluss nachholen!“