Einer klagt – und alle staunen: Warum jetzt? Warum seufzt der Chef des Ambassador-Hotels öffentlich über vermeintlich unhaltbare Zustände in der nördlichen Innenstadt und zieht ein Viertel verbal runter, das gerade dabei ist, sich aufzurappeln?
Die angezettelte Debatte um die vermeintlich verkommende Nord-City, sie scheint jedenfalls beendet, bevor sie richtig angefangen hat. Den Eindruck konnte bekommen, wer an diesem Mittwoch einer kurzen Diskussion der örtlichen Immobilien- und Standortgemeinschaft lauscht: Wo keiner so tun mag, als wäre alles in bester Ordnung, und sich doch eine gewisse Gelassenheit gegenüber mancher Kritik breit gemacht hat – weil das Gefühl Raum greift, man habe schon ein gutes Stück des Weges hinter sich gebracht, hin zu einem Stadtteil mit Zukunft.
Ein Eindruck, den etwa die Polizei teilt: Den nördlichen Teil der Viehofer Straße haben die Ordnungshüter seit fünf, sechs Jahren verstärkt im Blick, sagt Polizei-Sprecher Lars Lindemann, seitdem sei die Lage dort „deutlich besser“ geworden. Abgeschlossen ist die Polizeiarbeit in der Nordcity gleichwohl nicht.
Ähnlich formuliert es Ordnungsdezernent Christian Kromberg, der gar nicht in Abrede stellen mag, dass die Viehofer „andere Probleme hat als die Kettwiger“. Doch seit man ortsansässige Imbissbuden-Betreiber auf ihren Umgang mit Müll gezielt ansprach, „hat sich die Lage dort spürbar verbessert“. Das jedenfalls ist der Eindruck der Doppelstreife, die dort mehrmals täglich patrouilliert. Nein, „optimal ist das noch nicht“, räumt Kromberg ein, „aber unzumutbar? Das kann ich nicht bestätigen.“
Es wäre ja auch, meint Kreativ-Unternehmer Reinhard Wiesemann, ein abenteuerlicher Gedanke zu glauben, Anlieger oder Stadt hätten die Chance auf ein schönes Umfeld gänzlich selbst in der Hand: „Man kann sich eine schöne Umgebung nicht ,erputzen’“, ist Wiesemann überzeugt, und schließlich – profitiert das Viertel nicht auch vom diskreten Charme des Unperfekten?
„Dass es beim Ambiente noch Luft nach oben gibt, „das ist doch der Vorteil, warum hier noch so viel möglich ist“, findet Wiesemann, der hier mit seinem Investment manches Projekt erst möglich macht: Dies ist ein Pionier-Stadtteil. Hier können Dinge passieren, die anderswo viel zu teuer wären.“
Wiesemann macht es vor, eröffnet neben dem Unperfekthaus Anfang Juli ein „UnperfektHOTEL“ für Geschäftsreisende als Zielgruppe, verfolgt den Plan eines Bewegungszentrums über einer alten Spelunke, hofft auf einen Jazz-Keller samt Band-Proberäumen unterm Tedi-Markt in der Rottstraße („Dezibelisten“) und weiß neben anderen Geschäftsleuten und Anwohnern auch die städtische Wohnungsgesellschaft Allbau unter den Verbündeten für einen Aufschwung des Umfelds.
Der will, wenn die 17 Meter tiefe Baugrube für die Tiefgarage neben der Kreuzeskirche erst mal fertig ist, zwei Jahre lang aus der Not eine Tugend machen: indem er mit mehreren Webcams im Internet zeigt, wie es zwischen Rott- und I. Weberstraße buchstäblich aufwärts geht. Mit der neuen Allbau-Zentrale, einem neuen Zuhause für die Behinderten-Verbände. Überzeugt, dass es sich lohnt, an das Viertel zu glauben und seine Wohnung womöglich in den „Kastanienhöfen“ zu nehmen, die hier in Anlehnung an die Kastanienallee entstehen.
Derweil kommt 100 Meter Luftlinie entfernt auch ein anderes Projekt endlich aus den Puschen: Das Immobilien-Unternehmen Frankonia will auf dem Gelände des DGB-Hauses an der Schützenbahn ein Zwei- bis Drei-Sterne-Hotel errichten. Ein Bauantrag sei inzwischen eingereicht, hieß es gestern, und wenn alles nach Plan läuft, könnte das 1954 errichtete und seit Jahren leerstehende Gewerkschaftshaus noch im Herbst abgerissen werden. Ab Dezember entstünde dann der Neubau.
Es geht also weiter in der nördlichen Innenstadt, manchem sicher nicht schnell genug.
Vielleicht ist dies das Problem.