Essen-Überruhr.. Schwere Krankheit, Unglück oder Mord: Eine junge Frau lag tot in einem städtischen Haus für Wohnungslose. Viele Nachbarn haben sie lange nicht mehr gesehen. Eine Mordkommission ermittelt jetzt, eine erste Obduktion brachte keine hinreichenden Ergebnisse.
Keine Blumen vor der Tür, kein Porzellanengel, keine brennende Kerze vor der tristen Fassade mit den Holzfenstern, deren Anstrich bröckelt. Diese Kleinigkeiten, die Nachbarn ablegen, wenn jemand tragisch oder durch ein Verbrechen ums Leben gekommen ist: Sie fehlen vor der Tür der 20-Jährigen in Überruhr. Ihre Leiche ist am Mittwoch(30. April) in der städtischen Notunterkunft für Wohnungslose entdeckt worden, wo sie mit ihrer Mutter lebte.
Noch weiß niemand, ob die junge Frau schwer krank war, ob sie stürzte oder getötet wurde. Fest steht, dass die Polizei eine Mordkommission eingerichtet hat. Ob es Zeichen für Gewalt gibt? Dazu sagt die Polizei derzeit nichts, erst, wenn alle ausstehenden Untersuchungen abgeschlossen sind.
Bis dahin bleiben auch die Anwohner an der Liebrechtstraße mit ihren Fragen allein. Sie haben die Sirenen gehört, die an diesem Mittwoch zum zweiten Mal ertönten. Zuvor wurde ein Mann tot gefunden, sagt Heiko (38), der seit zwei Jahren dort wohnt. Der Tote war der Nachbar, der seine kleine, karge Unterkunft mit 150 Vögeln teilte, sagt Heiko. Als die Rettungswagen noch mal kamen und später die Ermittler in ihren weißen Anzügen, „dachte ich, es ist die Mutter“.
Sie zog mit ihrer Tochter kurz nach Heiko in die Unterkunft. Da hat sich die junge Frau noch um das Blumenbeet gekümmert, sagt der, blickt auf den gemähten Rasen vor den Häusern, die seit Jahren auf eine Renovierung warten.
Seit elf Jahren leben die Eltern von Sandra (20) hier, auch sie erinnert sich an die Verstorbene. Doch die beiden Frauen haben sich total abgeschottet, reagierten nicht einmal, wenn Sozialarbeiter, die die Anwohner betreuen, anklopften. Jetzt haben die Nachbarn gehört, die Leiche könne bereits seit Wochen auf der Couch gelegen haben.
„Gerochen hat es hier unten nicht“, sagt indes eine 63-Jährige, die im gleichen Haus im Erdgeschoss wohnt. In der ersten Etage klebt nun das Siegel der Polizei. Früher begegneten sie sich kurz, längst hat aber auch sie nichts mehr von den beiden Frauen gehört: „Kein Streit, keine Dusche, keine Spülung.“ Und das bei der Hellhörigkeit des Hauses, ergänzt sie und vermutet, dass die beiden vielleicht nachts losgezogen sein könnten, um sich mit weggeworfenen Lebensmitteln zu versorgen.
Fest steht auch, dass die Mutter (61) offenbar psychisch krank ist und in die Psychiatrie eingewiesen worden ist. Als sehr dominant hat ihre Nachbarin sie empfunden, die Tochter hingegen als schüchtern. Nur manchmal, wenn die Mutter nicht dabei gewesen sei, habe die junge Frau mal gegrüßt. Mehr Kontakt habe es nicht gegeben, zuletzt gar keinen, sagt die Nachbarin. Die beiden bekamen keinen Besuch, öffneten niemandem mehr die Tür. Bis nun der Betreuer diese am vergangenen Mittwoch aufschloss.