Ist das denn wirklich alles erst zwei Jahre her? Dass die Leute sie als regelrechte Heilsbringer einer „anderen“ Politik bejubelt haben? Dass sie zur Landtagswahl in Essen aus dem Stand 7,8 Prozent der Stimmen holten? Dass mancher aus ihrem Kreis seine Backen aufblähte wie das pralle Segel im Parteisymbol?
Verrückt. Ein Hype, der Polit-Neulinge in den Landtag spülte, und hernach manchen auf dem Trockenen zurückließ, weil erst die mediale Begeisterung und danach auch die Umfragewerte spürbar nachließen. Oder war es umgekehrt?
Kai Hemsteeg jedenfalls ist nicht sonderlich böse drum, dass die Piraten wieder auf Normalmaß zurechtgestutzt sind. Und das nicht nur, weil sich selbst bei banalen Treffen im Unperfekthaus 60, 70 Leute drängten – und die Luft schon bald so schlecht war, dass die ersten das Weite suchten.
Nein, dem Kriminalkommissar für Wirtschaftsstraftaten, schwant, dass „Politik ein langfristiger Prozess ist“, und es darauf ankommt, am Ball zu bleiben: „Wir sind uns jedenfalls treu geblieben.“
Was kein leichtes Unterfangen war, wie sie einräumen: den Zauber des Andersmachens zu bewahren und sich doch professioneller aufzustellen, keine verzopften Polit-Rituale einreißen zu lassen, gleichwohl aber die Mechanismen des Politikbetriebs aufzusaugen.
Dazu gehört, dass sie nicht mehr achselzuckend passen müssen, wenn man sie zu irgendeinem Thema nach ihrer Position fragt: Sie haben sich ein 36 Seiten starkes Programm gegeben, von der Forderung nach Tariflohn für die Mitarbeiter aller städtischen Unternehmen bis zum mobilen Bürgerbüro, vom fahrscheinlosen Nahverkehr bis zum kostenlosen, anonymen W-Lan für alle, vom Ausbau der Schulsozialarbeit über die Nutzung freier Software im Rathaus bis zum regelmäßig tagenden Kinder- und Jugendparlament.
Manche Vorschläge klingen verwegen, wie sich das wohl für politische Freibeuter gehört, manche sind es auch: Die Gewerbesteuersätze zu harmonisieren, freie Fahrt für die Evag durch eine Grundsteuer-Umlage zu finanzieren, mehr Bauland und Platz für Gewerbegebiete auszuweisen – viel Freude im Detail, möchte man den Piraten da mitleidig zurufen.
Anderen Ideen stehen gültige Verträge oder Gesetze entgegen, dem Ausstieg aus den US-Leasing-Verträgen etwa oder dem gelockerten Rauchverbot. Aber wer „Klarmachen zum Ändern“ ruft, weiß, dass es hie und da Haken gibt.
Und sowieso: Vielleicht rührte die Sympathie der Bevölkerung ja auch daher, dass die Piraten nie darauf bestanden, alles besser zu wissen, dass der Zug um Zug erarbeitete Standpunkt bei ihnen sozusagen mit zum Programm gehört: „Wir lernen noch, wir lassen uns auch gerne überzeugen“, sagt Spitzenkandidat Hemsteeg, der mal zehn Jahre der CDU angehörte, „aber wir lassen uns nicht an die Fesseln legen“.
Noch kultivieren sie ihre Empörung, dass in Rat, Ausschüssen oder Bezirksvertretungen manche Politiker manche Politiker erst am Sitzungstisch die Umschläge mit den Sitzungsunterlagen öffnen: Demnächst hoffen sie, es besser machen zu dürfen: In Fraktionsstärke wollen sie in den Rat einziehen, das wären mindestens drei Sitze. Ihre Reserveliste umfasst aber 45 Namen. Man weiß ja nie.