Essen. Der Erste Weltkrieg brachte millionenfachen Tod auf dem Schlachtfeld mit sich, und oft ging das Sterben im Frieden danach weiter. Wie etwa bei den Mühlenfelds, einer kinderreichen Kaufmannsfamilie in Essen-Borbeck. Ein Sohn fiel im Krieg, der andere brachte die Tuberkulose mit nach Hause.

Zuerst fiel Sohn Paul an der Westfront. Dann schleppte Hans, der Matrose, die Tuberkulose mit nach Hause. Eine heimtückische Infektionskrankheit, die ihn und drei Schwestern tötete. WAZ-Leserin Hildegard Gottlob (80) aus Bredeney, die Letzte aus dem Mühlenfeld-Clan, schildert diese herzzerreißende Tragödie.

„Meine Großeltern Hans und Adele Mühlenfeld betrieben zu Beginn des Ersten Weltkrieges in Borbeck an der Bocholder/Wüstenhöfer Straße im eigenen Haus einen gut gehenden Gemischtwarenhandel, den man heutzutage als Tante-Emma-Laden bezeichnen würde. Sie hatten insgesamt sieben Kinder: vier Töchter und drei Söhne, geboren in den Jahren 1892 bis 1903, damals keine Seltenheit.

Mit Ausbruch des Krieges mussten die Söhne zum Militär: Hans, der älteste Sohn, geboren 1894, zur Marine, Ernst (1896) zu den Bückeburger Jägern und Paul (1898), zur Infanterie an die Westfront.

Ernst Mühlenfeld kämpfte als Leutnant an der Ostfront. Von dort kam 1916 eines Tages ein Telegramm mit der Nachricht, er habe einen Lungenschuss erlitten.

Meine Großmutter, eine nur 1,38 Meter große, aber sehr durchsetzungsfähige Frau, überlegte nicht lange und beschloss, ihren Sohn Ernst im Lazarett zu besuchen. Sie setzte dies tatsächlich durch. Zu diesem Zwecke fuhr sie zunächst nach Berlin und versuchte dort die Erlaubnis zu erlangen, an die Ostfront zu fahren. Dies sei völlig ausgeschlossen, wurde ihr gesagt, dort sei Krieg und es werde gekämpft.

Meine Großmutter zeigte sich von diesem abschlägigen Bescheid völlig unbeeindruckt und erklärte, sie werde in Berlin auf den Stufen des zuständigen Ministeriums ausharren, bis ihr die Erlaubnis erteilt worden sei. Nach drei Tagen und drei Nächten erhielt sie dann die Erlaubnis, mit einem Truppentransporter an die Front zu fahren.

Als sie schließlich an Ernsts Bett stand, glaubt dieser, er sei gestorben und im Himmel, denn seine Mutter an seinem Bett – das gebe es doch wohl nicht. Aber es war so.

Als gelernte Krankenschwester und ehemalige Diakonissin pflegte sie ihren Sohn und andere verwundete Soldaten, bis ihr Ernst endlich transportfähig war. Der erlittene Lungenschuss war so etwas wie ein Heimatschuss. Meine Großmutter nahm ihn mit nach Hause und pflegte ihn gesund. Ernst Mühlenfeld starb erst 1964 mit 67 Jahren.

Sie pflegte verwundete Soldaten

Damit nicht genug. Der jüngste Sohn Paul wurde 1917 an der Westfront verwundet. Darüber wurden seine Eltern telegrafisch benachrichtigt. Meine Großmutter überlegte auch in diesem Fall nicht lange und beschloss, ihren Jüngsten, auch Päule genannt, im Lazarett zu besuchen. Auch hier pflegte sie ihren Sohn und andere verwundete Soldaten einige Tage, bevor sie wieder nach Hause fuhr.

Kaum in Essen angekommen, erhielten meine Großeltern erneut ein Telegramm: Ihr Sohn Paul sei seinen Verwundungen erlegen und damit den Heldentod gestorben. Meine Großeltern telegrafierten zurück, sie wollten ihren Sohn nicht in fremder Erde bestattet wissen, sondern in der Heimat, sie würden den Gefallenen holen.

Tatsächlich besorgten meine Großeltern einen Sarg und fuhren damit wieder an die Westfront. Sie holten ihren gefallenen Sohn heim. Hier wurde Paul Mühlenfeld dann auf dem evangelischen Matthäusfriedhof in Borbeck mit allen militärischen Ehren bestattet. Sein Grabstein ist dort unter den Heldengräbern bis heute zu bewundern und trägt die Aufschrift: „Musketier Paul Mühlenfeld.“