Ob Essens Stadtkämmerer bei der morgendlichen Zeitungslektüre nun mit nervösen Fingern zum Börsenteil greift? Schließlich bestimmt der Kurs der RWE-Aktie mit darüber, ob die Stadt sich finanziell noch über Wasser hält oder nicht. Jahrelang stand die Aktie überbewertet in den Büchern. Nun, da der Kämmerer, wie es der Gesetzgeber verlangt, den Kurs korrigiert hat, droht die Überschuldung. Klieve selbst rechnet damit zum Jahresende. So schnell kann es gehen.
Vor einigen Jahren warb sein Vorgänger vergebens dafür, die Stadt möge einen Teil ihres Aktienpaketes versilbern. Da bewegte sich der Kurs noch in Sphären, die einem heute schwindelerregend erscheinen. Wirtschaftlich hätte sich ein Verkauf auch damals nicht gerechnet, argumentiert heute Oberbürgermeister Reinhard Paß. Wahrscheinlich hätte die Stadt den Ertrag ohnehin längst verfrühstückt. Denn viel zu lange lebte Essen über seine Verhältnisse. Die vermeintlich fetten Jahre sind vorbei.
Dass sich die RWE-Aktie alsbald spürbar erholt, steht nicht zu erwarten. Der Energiekonzern steckt tief in den roten Zahlen. Als Aktionär und Unternehmenssitz bekommt Essen es knüppeldick zu spüren. Dividende und Gewerbesteuer schmelzen dahin.
Um so überraschender ist, mit welchem Gleichmut OB Paß und sein Kämmerer die Wertberichtigung kommentierten. Noch kein Jahr ist es her, da erschien manchem im Rat eine Kurskorrektur wie der Untergang des kapitalistischen Abendlandes. Die CDU warnte seinerzeit vor einem „Himmelfahrtskommando“. Nun gilt die Wertberichtigung als notwendiges Übel. Mehr nicht.
OB, Kämmerer und die Mehrheit im Rat verweisen auf den Haushaltssanierungsplan. Mit Hilfe der Haushaltssperre hat die Stadt gerade noch die Kurve gekriegt. Der Sparkommissar bleibt Essen selbst im Falle einer Überschuldung erspart, so lange der Haushaltsausgleich bis 2017 gelingt. Die Sanierung der Stadtfinanzen wird jedoch immer mehr zum Drahtseilakt. OB Paß hat Recht, wenn er darauf verweist, dass es „äußere Umstände“ seien, die Essen die Bilanz verhageln. Das gilt für die Entwicklung des RWE-Aktienkurses. Das gilt aber auch für den Haushaltssanierungsplan. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die Stadt, die Geld in Schweizer Franken angelegt hat, hat weder selbst in der Hand, wie sich der Wechselkurs zum Euro entwickelt, noch hat der Kämmerer über den gestrigen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst entschieden. Beides aber hat Folgen für den Haushalt.
Die Sicherheit, die Paß und Klieve gestern vermitteln wollten, könnte also trügerisch sein. Wahrscheinlicher ist, dass in diesem Jahr das ein oder andere Streichkonzert droht - nach der Kommunalwahl.