Die Essener Entsorgungsbetriebe – ein kleines „Königreich“ mit seltsamen Entscheidungen, gefällt vom Geschäftsführer-Thron eines langjährigen „Herrschers“. Mit Gunstbezeugungen für finanziell klamme Betriebsräte, mit hausinternen Drohungen gegenüber Skeptikern, mit finanziellen Schlampereien, kleinen Geschenken, die kritischen Politikern den Mund stopften, und einem Beratervertrag in der Grauzone der Korruption: Stundenlang diskutierte die Politik in nichtöffentlicher Sitzung gestern noch einmal ein Sittengemälde dessen, was bei der EBE offenbar Alltag war.

Wen es tröstet: So wie bei den Entsorgungsbetrieben läuft es in den anderen städtischen Tochtergesellschaften nicht. Dies jedenfalls hat ein Anwalt der auf Compliance-Fragen spezialisierten Anwaltskanzlei Freshfields für die in der städtischen Verkehrs- und Versorgungsholding EVV gebündelten Firmen recherchiert: „Wir haben keine zweite ,EBE’ gefunden“ – so zitierte EVV-Chef Dirk Miklikowski gestern die Prüfer.

„Für uns ist das beruhigend“, sagte Miklikowski vor der versammelten Politikerschar, aber es entschuldigt keineswegs den EBE-Sumpf, dessen Trockenlegung in Kürze beginnt. Einen maximalen Schaden von 740.800 Euro hat die Rechtsanwaltskanzlei Bögner, Hensel & Partner ausgemacht, 650.000 Euro davon will man nun als Schadenersatz eintreiben (die NRZ berichtete), und dies „auch mit der gebotenen Härte“, wie Rechtsanwalt Jörg H. Becker gestern dem Haupt- und Finanzausschuss des Rates versicherte.

Was bedeutet: Nicht nur den ehemaligen EBE-Chef Klaus Kunze will man für einen Schaden von bis zu 650.000 Euro in Regress nehmen, auch drei Betriebsräte will man sich für Beträge zwischen 18.600 und 102.900 vorknöpfen. Und nicht zuletzt soll aus dem größten Schadensfall, dem offenbar überteuerten Beratervertrag mit Ex-SPD-Ratsherr Harald Hoppensack von diesem 83.000 Euro eingetrieben werden.

Ob das auch nur ansatzweise gelingt, ist offen. Der Sozialdemokrat, der schon seit 1998 immer wieder Aufträge von den Entsorgern bekam, sorgte auch im Nachhinein noch für allgemeines Kopfschütteln, weil er Stundenzettel selbst für solche Zeiten eingereicht haben soll, in denen er nachweislich im Rat oder seinen Ausschüssen war.

Oberbürgermeister Reinhard Paß betonte gestern, die „Zeit der Spekulationen ist vorbei“, es gebe einen nicht unerheblichen Schaden, „und wir wissen auch, wer ihn verursacht hat“.

Sich selbst meinte er damit wohl nicht, doch Paß’ ärgster Kontrahent, CDU-Fraktionschef Thomas Kufen, nahm den OB persönlich in zumindest politische Haftung: Paß habe „so lange wie möglich an Kunze und Hoppensack festgehalten“ und keinen eigenen aktiven Beitrag zur Aufklärung geleistet. Die Entsorgungsbetriebe brauchten einen Neuanfang, so Kufen – bei der Geschäftsführung, beim Betriebsrat, aber auch an der Spitze des Aufsichtsrats, die der OB bekleidet: „Prüfen Sie sich selbst, ob sie an dieser Stelle noch der Richtige sind.“

Paß ließ die Attacke unbeantwortet, dafür konterte SPD-Fraktionschef Rainer Marschan: Wer den Aufsichtsratschef in die Haftung nehme, müsse dies auch mit der (Ex-)Vize tun – Jutta Eckenbach von der CDU.

Bei alledem gilt als denkbar, dass noch weitere Hunderttausende Euro Schaden in Rede stehen – aus fingierten Schrottgeschäften der Entsorgungsbetriebe und aus dem seltsamen Finanzierungskonstrukt für den Neubau des Betriebshofs.

Und noch eine Frage bleibt bis auf weiteres unbeantwortet, wie Wolfgang Freye von den Linken gestern beklagte: „Wir konnte all das passieren? Es gab doch wohl ein System, bei dem viele wegguckten oder selbst verwickelt waren.“