Die Ohrfeige. Opa war nicht im Bunker. Er kam immer etwas später in den Schutzraum, weil er das Haus abschloss. Und manchmal blieb er auch einfach zu Hause, wenn er meinte, so schlimm wird es wohl nicht. Doch diesmal hatte er sich wohl verschätzt. Meine Mutter, meine Oma Anna und ich rannten durch die Gärten zur Vonnemanns Wiese. Was wir sahen, ließ uns Schreckliches ahnen. Überall Bombentrichter, zerstörte Häuser. Und unser Haus? Die Fenster zersplittert, Türen lagen auf dem Hof oder hingen nur noch in den Angeln. Mein Gott, wo ist Opa?
Als wir auf den Hof liefen, sahen wir ihn. Seelenruhig hob er gerade die Kellertür auf und versuchte, sie wieder richtig einzusetzen. Mutter stürzte auf ihren Vater zu und gab ihm eine Ohrfeige. „Mach das nie wieder!“ schluchzte sie. Sie umarmte ihn, drückte und herzte ihn, und Opa sagte nur: „Mädchen, Mädchen! Als ich los wollte, fielen schon die ersten Bomben. Da hab ich mich im Keller verkrochen.“ Und schmunzelnd fügte er hinzu: „Aber seinen Vater schlägt man doch nicht!“ So wurde eine Ohrfeige zum Liebesbeweis.
Im Keller. Bald ging keiner mehr in den Bunker. Die Luftangriffe folgten zu schnell hintereinander. Die Front rückte immer näher. Bottrop war schon eingenommen worden und die Amerikaner hatten ihre Stellung auf der anderen Seite des Rhein-Herne-Kanals in den so genannten Lehmbergen (heute Lehmkuhle) bezogen. Wir lebten nur noch im Keller. Der größte Kellerraum war von meinem Opa, meiner Oma, meiner Mutter und von Verwandten zu einem Ersatzluftschutzbunker umgebaut worden. Mein Vater konnte nicht helfen; er war ja seit 1939 als Soldat. Wo vorher zentnerweise Kohlen und Kartoffeln lagerten, standen jetzt drei Etagenbetten, aus Holzlatten zusammengezimmert und notdürftig mit Matratzen und Decken versehen: ein Bett für meine Oma, ein Bett für meinen Opa, ein Bett für Mutter und mich.Ich fand das ganz toll, im eigenen Keller zu schlafen und nicht mehr bei jedem Angriff in den Bunker rennen zu müssen. Alle Menschen, die ich lieb hatte, eng beieinander. Nur schade, dass mein Vater nicht dabei sein konnte.
Die Erwachsenen fanden das Ganze wohl nicht so toll. Sie hatten die Kellerdecke mit vier zusätzlichen Holzbalken abgestützt. Bei einem Bombentreffer sollte die schwere Decke nicht auf uns stürzen. Auch wurden Kartoffelsäcke mit Sand und Erde gefüllt und vor die Kellerfenster gelegt, um mögliche Druckwellen von Luftminen abzuschwächen. Prinzip Hoffnung.