Essen. Nicht nur Metalldiebe plündern die Gräber: In der Pflanzzeit graben Diebe auf Essener Friedhöfen sogar Primeln wieder aus. Während Täter gestohlene Vasen oder Figuren zu Geld machen, liegt der Wert der Pflanzen oft im Centbereich. Manches Stiefmütterchen findet sich auch auf dem Nachbargrab wieder.

Als Diebe sämtliche Kupferlaternen und -figuren auf Friedhöfen abräumten, da war klar: Es geht um Geld. Dass Grabschänder jetzt aber Primeln für 49 Cent ausbuddeln, das ist für Angehörige schier unbegreiflich. Was derzeit auf die Gräber gepflanzt wird, ist mitunter gleich am nächsten Tag verschwunden.

Die Klagen darüber kommen aus dem ganzen Stadtgebiet, etwa vom Parkfriedhof, vom Süd-West-Friedhof in Fulerum oder vom Ostfriedhof. Es ist kein neues Phänomen, aber derzeit ist es offenbar verbreitet; und es trifft Angehörige hart. So wie Lore Feldhaus (65), die das Grab ihres Sohnes auf dem Ostfriedhof pflegt. Die Vase darauf ist leer, der Korb mit den Stiefmütterchen weg. „Ich stelle keine Gefäße mehr mit Griffen auf“, sagt sie, dabei geht es ihr nicht um materielle Werte, sondern um Gefühle und Respekt.

"Hier findet keiner mehr Frieden"

Am neuen Körbchen hängt eine Karte: „Dieses Gesteck gehört Lars“, in der Hoffnung, dass es noch da ist, wenn seine Oma kommt. Die 87-Jährige verletzt der Diebstahl so sehr, dass sie nicht mehr allein zum Grab geht und sich diesem nur angstvoll nähert, beschreibt Lore Feldhaus das, was die Diebe ihnen antun: „Hier findet keiner mehr seinen inneren Frieden.“

Auch nicht der ältere Herr, dessen Frau zu Weihnachten starb. Zwei Christrosen schmückten ihr Grab – zwei Tage lang. Blumenklau von Gräbern ist so hässlich wie alltäglich: „Bei dem, was ich heute pflanze, muss ich mindestens zehn Gräber nachpflanzen“, sagt Iris Horn, Friedhofsgärtner-Meisterin auf dem Ostfriedhof. Einige klauen Primeln gezielt nach Farben, um Gräber ihrer Angehörigen zu schmücken, sagt sie. Einem Dieb haben sie das nachgewiesen: „Nur unsere Pflanzen hatten eckige Töpfe.“ Andere Täter hätten ganze Gräber samt Buchsbaum leer geräumt. Besucher auf dem Weg zum Elisabethkrankenhaus nehmen gar Tulpen aus Vasen mit: „Geklaut wird ständig.“

Kaum Anzeigen bei der Polizei

Dennoch gibt es bei der Polizei kaum Anzeigen. Auf die sind die Beamten aber angewiesen, um die Störung der Totenruhe zu bekämpfen, sagt Sprecherin Tanja Horn, die die Dunkelziffer sehr viel höher schätzt. Den dreisten Blumenklau etwa mit Überwachungskameras einzudämmen, gehe nicht, sagt Stadt-Sprecher Stefan Schulze und argumentiert mit dem Datenschutz.

„Bei mehr als 256.000 Grabstellen lässt es sich, insbesondere in der Pflanzzeit nicht vermeiden, dass Pflanzen gestohlen werden, allerdings geschieht dies nach unserem Kenntnisstand auf unseren Friedhöfen nur in Einzelfällen“, sagt Eckhard Spengler von Grün und Gruga. Daher könne nicht von einer extremen Häufung gesprochen werden. Hinterbliebene sollten den Diebstahl anzeigen und ihn Mitarbeitern der Verwaltung mitteilen. Er appelliert aber auch an die Friedhofsbesucher, die „Augen offen zu halten“ und ungewöhnliche Betätigungen oder Arbeiten und Fahrzeuge der Friedhofsverwaltung melden.

Lore Feldhaus hat Anzeigen erstattet. Erfolglos. Verzweifelt hat sie nun Zettel ans Friedhofstor geheftet und aufs Grab ihres Sohnes gelegt, Wutbriefe nennt sie die Schreiben an den „asozialen Blumendieb“, der die Gräber als Selbstbedienungsfelder nutze: „Warum tun Sie das“, fragt die Mutter tief verletzt.