Essen. . Jahrzehntelang blieb genügend Zeit für eine geordnete Evakuierung, wenn ein Blindgänger gefunden wurde. Nun muss sofort reagiert werden - so will es die Bezirksregierung in Düsseldorf. Warum das auch gefährlich sein kann. Ein Kommentar.

Man fasst es nicht: Jahrzehntelang sind alle gut damit gefahren, beim Fund von konventionellen Blindgängern nicht in Hektik zu verfallen und umstandslos das öffentliche Leben lahm zu legen, sondern durchzuatmen und mit einigen Tagen Vorlauf die nötigen Schritte einzuleiten. Künftig wird nun jede am Boden ruhende Weltkriegsbombe fast so behandelt, als ginge es um die Abwehr eines akuten Bombenangriffs. Ganze Viertel sollen im Zweifelsfall innerhalb von Stunden geräumt werden, egal ob dies den Betroffenen in den Kram passt oder nicht. Notfalls müssen kranke, gebrechliche Menschen unter Zeitdruck mit der Feuerwehr aus ihren Häusern geholt werden. Und das alles nur, weil es eine rein theoretische Gefahr gibt, dass die Bombe gerade jetzt hochgehen könnte - nachdem sie das aber 70 Jahre lang keineswegs getan hat und auch nichts dafür spricht, dass sie das schleunigst nachholen will.

Bei den tückischen, gottlob aber seltenen Blindgängern mit Säurezündern könnte man die Übervorsicht ja vielleicht noch verstehen. Dass die Stadt jetzt aber auch bei den „Klassikern“ mit normalen Aufschlagzündern zu solchen absurden Verrenkungen gezwungen wird, ist wieder mal Ausfluss einer Bürokratie, die für das Ausmerzen selbst minimalster Risiken gerne einen irrsinnigen Aufwand betreibt. In diesem Fall ist das besonders widersinnig, weil die gesundheitlichen Risiken einer Hektik-Räumung im Einzelfall viel größer sein können.

Ohne weiteres ist ja ein Szenario denkbar, dass ein herzkranker alter Mensch vor Aufregung umkippt, wenn um ihn herum plötzlich Polizei auffährt, Sirenen heulen, Beamte durch die Straße laufen und mit Nachdruck die sofortige Räumung seiner Wohnung fordern. Selbst wenn die Mitarbeiter von Stadt und Polizei sensibel vorgehen - wer will einen solchen Kollateralschaden ausschließen? Den armen Menschen hätte dann nicht etwa die ruhende Bombe umgebracht, sondern die Neigung unserer Zeit, Risiken zu einem Popanz aufzubauen.

Dass das alles den Steuerzahler furchtbar teuer kommt, dass die personell knapp ausgestattete Polizei den Bürger besser vor realeren Gefahren schützen sollte, all das sei nur am Rande erwähnt. Und kurios: Nur die Bezirksregierung Düsseldorf schreibt die neue Regelung vor, nicht aber zum Beispiel die in Münster. Wenn die Bombe also einen Meter hinter der Stadtgrenze in Gelsenkirchen liegt, dann hat der betroffene Essener Nachbar auch künftig ein paar Tage Zeit bis zur Entschärfung. Verrückt, oder?