Essen. Irgendwo in Essen, leben weibliche Opfer von Übergriffen im Frauenhaus, wo sie Unterstützung für einen Neuanfang finden. Die Frauen wurden geschlagen, eingesperrt, vergewaltigt vom Ehemann, Partner oder einem Familienmitglied und flüchten. Wie im Fall Madeleine.

Völlig durchgefroren stand die junge Frau eines morgens auf dem Parkplatz und wartete stundenlang in eisiger Kälte auf Adelheid Gruber (60). Denn die Psychologin arbeitet im Frauenhaus, und die junge Frau wusste, dass sie dort Hilfe bekommt. Die hatte sie schon einmal dringend gebraucht, nachdem ihr Mann sie misshandelt und vergewaltigt hatte. Auf Druck ihrer Familie ist sie damals zu ihm zurück gegangen, erinnert sich Adelheid Gruber an eine von vielen Geschichten, die ihr auch nach 22 Jahren an ihrem Arbeitsplatz nahe gehen.

Frauen, die sich erstmals an sie wenden, melden sich telefonisch. Sie werden an einem Treffpunkt abgeholt. Die Adresse des Frauenhauses ist geheim. Irgendwo in Essen leben die Frauen in fünf Wohnungen, die sie sich jeweils mit ein bis zwei Bewohnerinnen teilen.

Feste Ansprechpartner für jede Frau

Die meisten Frauen sind 25 bis 41 Jahre alt, ihre Nationalitäten sind unterschiedlich. Da die Hälfte von ihnen mit Kindern einzieht, kümmern sich zwei der fünf Mitarbeiterinnen um die Mädchen und Jungen, die oft traumatisiert sind, weil sie erlebt haben, wie ihre Mutter misshandelt worden ist.

Geschützter Wohnraum für Gewaltopfer

1979 wurde das Frauenhaus gegründet, das als gGmbH unter dem Dach des Vereins Frauen helfen Frauen ist. Es finanziert sich aus Geldern von Land, Stadt, Jobcenter, Einkommen der Frauen.

Die Mitarbeiterinnen unterliegen der Schweigepflicht, sie bieten psychologische Beratung und praktische Hilfe bei Terminen bei Ärzten, Gericht, Polizei oder Anwälten, aber auch bei der Suche nach Sprachkursen, Ausbildung oder Wohnung.

Eine Befragung in NRW in Zusammenarbeit mit der Technischen Uni Dortmund der Bewohnerinnen ergab: Die meisten sind mit Unterbringung und Unterstützung im Frauenhaus sehr zufrieden. Dennoch gebe es laut Gruber leider Mythen wie: „Da wohnen nur Schlampen.“ Oder die Gleichsetzung mit sozialem Abstieg.

Für jede Frau gibt es eine feste Ansprechpartnerin, erklärt Adelheid Gruber, die auch sagt: „Ich kenne nichts, was Männer Frauen nicht angetan hätten“ – Gewalt, Tritte in den Bauch einer Schwangeren, tiefe Schnitte, schwere Brandwunden, aber auch seelische Verletzungen, wenn Frauen etwa eingesperrt wurden. Im Gespräch mit der Psychologin erleben sie oft zum ersten Mal, dass jemand sie versteht. Adelheid Gruber sitzt den Frauen im Sessel gegenüber, zwischen ihnen steht ein kleiner Tisch mit Taschentüchern. „Hier wird viel geweint.“

Der Fall Madeleine

Die Frauen kommen in einer heftigen Krise. Es geht um ihr Leben, sie wurden verletzt von dem, der sie eigentlich schützen sollte. „Sie haben Gewalt in ihrem Nahraum erlebt, in dem sie nicht ausweichen können, in dem sie ausgeliefert sind.“ Und in den sie manchmal zurückkehren. „Weil dieser Mann vielleicht der einzige Mensch ist, zu dem sie eine Bindung haben.“ Es kann die Überlebensstrategie der Frauen sein, bei ihm zu bleiben, damit er nicht wieder ausrastet. Selten randaliert ein Mann vor dem Frauenhaus, wenn er doch herausgefunden hat, wo seine Partnerin untergekommen ist. Hinein kommt er nicht und nur selten müssen Frauen dann in andere Städte ziehen.

Im Fall von Madeleine, die in der vergangenen Woche tot aufgefunden wurde, hätte der Abstand zu ihrem Stiefvater womöglich größer sein müssen. Der Mann, der auch Vater ihrer kleinen Tochter ist, steht unter Verdacht, die 23-Jährige getötet zu haben. Madeleine hatte sich in ein Frauenhaus geflüchtet, ihren Stiefvater vor einem Jahr wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt. „Sie hatte die Situation bereits verlassen“, sagt Adelheid Gruber. Warum sie sich wieder mit ihm traf und aus Gelsenkirchen nach Essen kam, wo ihre Leiche später gefunden wurde, kann die Psychologin nur mutmaßen: „Vielleicht wollte sie dem Kind Kontakt zum Vater ermöglichen.“

Frauen zur Selbstständigkeit und Stärke führen

Manchmal bestehen Gerichte und Ämter auf diesen Kontakt, sagt Adelheid Gruber aus Erfahrung. Dabei sei das ein großer Gefahrenpunkt. „Wir machen in solchen Fällen eine Risikobewertung, erarbeiten Sicherheitspläne für die Zeit nach dem Frauenhaus.“ Nein, sagt sie, Madeleine war nicht bei ihnen. Aber es ist ein Schicksal, wie es hier hätte passieren können. Sie erinnert sich an die bittere Nachricht vom Tod einer Frau, die sie einst betreut hatten – erschlagen vom Ehemann, zu dem sie wieder gezogen war. „Das ist schwer auszuhalten“, sagt die Psychologin, stellt aber klar: „Wir sind nicht grundsätzlich gegen Versöhnung“. Sie begleiten gar Frauen auf dem Weg zurück, manche mehrfach. Ob das dauerhaft gut geht, wagt sie nicht zu sagen.

Die junge Frau, die damals auf dem Parkplatz wartete, ging nicht mehr zurück. Als Adelheid Gruber sie in der Stadt traf, berichtete sie vom Traum, den sie sich erfüllt hatte: ein Auto. „Sie lebt allein mit ihren Kindern, aber ohne Gewalt.“ Es sind diese Geschichten, „die meinen Beruf zum schönsten der Welt machen“, sagt Adelheid Gruber. Wenn sie Frauen zur Selbstständigkeit und Stärke zurückgeführt hat.