Sie werden wohl das Straßenschild ändern müssen, wieder einmal.
Knapp 16 Jahre hieß dieser kleine Schlenker im Schatten der Bahngleise „Am Rheinstahlhaus“. Dann wechselten reichlich Aktien den Besitzer – und im Februar 1977 die Stadt auch die blau-weißen Schilder: Wer in dem 80 Meter hohen Stahlskelett-Komplex sein Büro aufmachte, firmierte fortan unter der Adresse „Am Thyssenhaus“, aber auch das trifft es bald nicht mehr.
Denn wenn in den kommenden Wochen erst einmal der zweite Bauabschnitt fürs Thyssen-Krupp-Quartier in Altendorf fertiggestellt ist, beginnt ab April aus 22 Etagen der große Exodus. Zug um Zug, bis zum 30. September, so schildert Pressesprecher Robin Zimmermann, verlegt die Belegschaft der Thyssen-Krupp-Sparte „Materials Services“ und anderer Unternehmensteile den Schreibtisch nach Altendorf.
Und zurück bleibt eine bauliche Ikone des Strukturwandels in der alten Bergbaustadt Essen. Zehn bekannte Architekten hatten 1956 den Auftrag bekommen, das neue Hauptquartier von Rheinstahl zu entwerfen. Das sollte nicht weniger dokumentieren als „the new look of the Ruhr metropolis“, wie es in einer Broschüre hieß, „das neue Antlitz der Ruhrmetropole“.
Ein Dortmunder (heute würde man womöglich sagen: „ausgerechnet ein Dortmunder) machte das Rennen: Albert Peter Kleinwort entwarf hier an der südwestlichen Ecke der Essener Innenstadt das erste Hochhaus der Stadt und zugleich des gesamten Reviers – einen 22-geschossigen Wolkenkratzer, gegründet auf einem torsionssteifen Hohlkasten-Fundament, das wiederum durch Betonpfähle teilweise mit dem Felsgrund verbunden wurde.
Denn jeder wusste damals, was ein halbes Jahrhundert später beim benachbarten Schenker-Neubau so viele erstaunt – nicht nur die vielen tausend Bahnreisenden, die in diesem Winter durch zahllose gestrichene Züge darunter litten: dass nämlich in dieser Ecke der Stadt bodennahe Kohleflöze liegen, welche die Standfestigkeit eines solchen Kolosses aus Stahl und Beton gefährden können. Mit der speziellen Form der Gründung beim Rheinstahl-Haus lassen sich eventuelle Schieflagen wieder ausloten.
Dass Rheinstahl sich überhaupt für den Bau eines Hochhauses entschieden hatte, war nicht nur dem knappen Baugrund geschuldet, der für den Komplex zur Verfügung stand. „Die Erfahrung vor allem in den Vereinigten Staaten hat gezeigt, dass sich in Verwaltungsgebäuden mit einer vertikalen Büro-Anordnung die Arbeit besser rationalisieren lässt als in der Horizontalen“, schwärmte man vielmehr vor.
Und an Arbeitsplätzen war hier kein Mangel: 960 Menschen arbeiteten in den 15 reinen Büro-Etagen, darüber gab es drei Stockwerke für Vorstand und Verwaltung, einen großen Sitzungssaal und weitere Sitzungsräume, das Mitarbeiterkasino, das Gästekasino und die Haustechnik. Die Nutzfläche eines jeden Geschosses lag bei 420 Quadratmetern.
„Heute ist keine Innenwand mehr an ihrem ursprünglichen Platz“, notierte die Berliner Kunsthistorikerin Tanja Seeböck, als sie 2005 für die Stadt die architektonische Qualität des Rheinstahl-Hauses unter die Lupe nahm. Und dennoch darf man den nach den Regeln des „Goldenen Schnitts“ dimensionierten Bau zu den 30 bedeutendsten Gebäuden der 1960er Jahre zählen.
Als solches fand er Eingang in ein Gutachten, das sich im Auftrag des städtischen Instituts für Denkmalschutz und Denkmalpflege letztlich auch der Frage widmet: Muss man den Bau unter Schutz stellen?
Architektonische Kenner erzählen dann von „Curtain Walls“ an den Außenwänden, „Vorhangfassaden“ also, größtenteils aus wärmegedämmten Glas-Stahlfassaden mit Brüstungssteinen aus dunklem Naturstein („Blaufalter“). Sie verweisen auf witterungsbeständige Edelstahlprofile, auf den individuell anpassbaren innenliegenden Sonnenschutz, der dem Hochhaus die gleichförmige Strenge nehme.
Gutachterin Seeböck bescheinigt Essens erstem Hochhaus auch ein halbes Jahrhundert nach seinem Bau „ein nuancenreiches, lebendiges Fassadenbild“ und spricht von einer „prägenden, unverwechselbaren Note“ durch das Arrangement der Materialien.
Klingt, als stünde da demnächst ein Denkmal zum Verkauf. Denn Thyssen-Krupp will die Immobilie vermarkten, bestätigte gestern Sprecher Robin Zimmermann der NRZ: „Wir sind in ersten Gesprächen.“