Essen. . Das Essener Ehepaar Maren und Horst Westermann brachten Michael Göring dazu, einen historischen Bildungsroman über NS-Kriegsverbrechen zu schreiben. Das Medienforum des Bistums Essen lädt am Dienstag zu Lesung und Gespräch mit Göring, der als Vorstandschef der ZEIT-Stiftung in Hamburg tätig ist.

Als Kind wurde der kleine Michael häufig auf seinen Nachnamen angesprochen: „Ist dein Vater...“, hießt es dann oft. Und auch in Israel, bei Reisen nach Jerusalem, hat der erwachsene Michael manche unschöne Situation erleben müssen. „Einmal, im Café, hat sich ein älterer Herr zu mir gesetzt und mich auf Deutsch angesprochen. Beim Wein kamen wir ins Gespräch. Irgendwann sah ich die Ausschwitz-Markierung an seinem Arm, da rutschte mir das Herz in die Hose. Irgendwann wollte er meinen Namen wissen... und ging, nachdem er ein paar Schekel für den Wein auf den Tisch gelegt hatte“, erinnert sich der gebürtige Lippstädter.

Wer er ist? Göring, Michael Göring. „Situationen wie diese sind mir häufiger passiert“, so der heutige Wahl-Hamburger Jahrgang 1956. Mit der NS-Größe Hermann Göring hat er nichts zu tun. Und doch brachte ihn der Name zum Grübeln, sorgte latent womöglich mit dazu, den historischen Roman „Vor der Wand“ zu verfassen. Seine Gespräche mit Berthold Beitz hätten ihn ebenfalls beeinflusst. Das erste war 1995, als er für die Studienstiftung des Deutschen Volkes nach Essen reiste. Seither war er oft hier.

Mau Tai für Berthold Beitz

„Ich hab’ damals das China-Studienprogramm betreut. Finanziert wurde es von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung“, so Göring. Er habe Beitz eine Flasche Mau Tai mitgebracht, ein schwerer chinesischer Schnaps, als er ihm von seiner ersten Chinareise erzählte. Und war fortan des öfteren Gast auf dem Hügel – mit und ohne Stipendiaten im Schlepptau. „Eines Tages klingelte mein Telefon und man informierte mich, dass eine Position unterhalb des Vorstands frei würde – und ich in Betracht komme“, erinnert sich Göring gut. So kam er nach Essen, lernte Stadt und Leute kennen. „Beitz machte mich mit Johannes Rau bekannt, mit Größen in Sport und Politik.“ 35 Jahre jung, verantwortete er die Förderabteilung der Krupp-Stiftung, lebte in Bredeney, schickte seine Kinder auf die Graf-Spee-Schule und später aufs Goethe-Gymnasium und lernte Beitz und seine Frau Else besser kennen. „Er erzählte mir von Borislaw (dort hatte er dem Juden Jurek Rotenberg das Leben gerettet) und wie er diese Zeit erlebt hat“, besinnt sich Göring, der Literaturwissenschaft in München studiert hat.

Heute ist Michael Göring Honorarprofessor an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg, in erster Linie aber Vorstandschef der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius in Hamburg. Essen habe er viel zu verdanken – „wir haben uns hier sehr wohl gefühlt.“ Und auch dem alten Herren vom Hügel. „Beitz und Helmut Schmidt waren gut befreundet. Sicher haben sie auch über Förder- und Stiftungsdinge gesprochen. So fand ich den Weg hier hin.“

Die Wahrheit über den eigenen Vater

„Vor der Wand“, sein viertes Buch, ein Bildungsroman, will die Erinnerung wach halten – an das, was 1944 in Sant’Anna di Stazzema (Italien) geschah. Die SS hatte dort 560 Mau Tai Dorfbewohner umgebracht. „Ich wusste nichts davon. Mit einem Antrag an die ZEIT-

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© WAZ FotoPool

Stiftung machte mich das Essener Ehepaar Westermann auf die Kriegsverbrechen aufmerksam. Gemeinsam mit Christina Rau fuhr ich dort hin. Und musste danach einfach etwas tun“, so Göring. Entstanden ist sein Roman, der von einer Jugend in den 1960er und 70er Jahren in ei­ner typischen Mittelstandsfamilie, „dem Rückgrat der Bundesrepu­blik, dem Hort der Tabus“, erzählt. In der Vätergeneration glimmt noch die Operetten-Idylle, bei den Jugendlichen geht es um laute Rockmusik,lange Haare, sexuelles Erwachen und viele linke Thesen. Georg Mertens ist 16 Jahre alt, als er sich intensiv mit der Kriegsvergangenheit seines Vaters auseinanderzusetzen beginnt. Doch sein Vater gehört zur sprachlosen Generation. Während Walter Mertens versucht zu verdrängen, kann sein Sohn nicht länger ruhen und sucht nach Antworten. Was geschah 1944 im toskanischen Dorf Sant’Anna di Stazzema? Erst als Georg viele Jahre später zum wiederholten Male die Wahrheit einfordert und sein Vater nichts mehr zu verlieren glaubt, bricht er sein Schweigen. „Vor der Wand“ erzählt eine Vater-Sohn-Geschichte. Ein Roman um Schuld und Sühne über Generationen hinweg.

Das Medienforum im Bistums Essen, Zwölfling 14, lädt am Dienstag, 4. Februar, um 19.30 Uhr zu Lesung und Gespräch mit Michael Göring. Karten für jeweils 10 Euro gibt es unter 22 04 274. Infos zum historischen Bildungsroman „Vor der Wand“ finden sich unter: www.michael-goering.com Der 320 Seiten umfassende historische Bildungsroman „Vor der Wand“ ist für 19,95 Euro unter der ISBN 978-3-9551-0023-0 im Buchhandel erhältlich.

Das Ehempaar Westermann und die Friedensorgel

Während eines Italienaufenthalts machten Maren Westermann und ihr Mann Horst, Solotrompeter der Essener Philharmoniker, zufällig in der Ortschaft Sant’Anna in der nördlichen Toskana Halt. Das ist nun 17 Jahre her. Was die beiden dort zu hörten

2008 wurde Maren und Horst Westermann (r.) durch Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger (l.), Corinna Beck (zweite Vorsistzende der Landschaftsversammlung Rheinland) der Rheinlandtaler verliehen. Ebenfalls im Bild: Bürgermeister Rolf Fliß (2.v.r.)
2008 wurde Maren und Horst Westermann (r.) durch Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger (l.), Corinna Beck (zweite Vorsistzende der Landschaftsversammlung Rheinland) der Rheinlandtaler verliehen. Ebenfalls im Bild: Bürgermeister Rolf Fliß (2.v.r.) © Oliver Müller NRZ

bekamen, bewegt sie bis heute. Sie erfuhren von ei­nem fürchterlichen SS-Massaker, das im August 1944 560 Dorfbewohnern das Leben kostete, darunter 116 Kinder. Erschüttert überlegten beide, was sie tun können, damit die Erinnerung an diese Gräueltat nicht verblasst. Ihre Idee: Die Musik als Sprache gegen das Vergessen nutzen. Und so organisierten beide eine Spendenaktion für eine Orgel, die 2007 als ,Friedensorgel’ in Sant’Anna eingeweiht wurde.

Die Westermanns konnten viele für Ihre Idee begeistern; 67 Benefizkonzerte spielten 70.000 Euro für die Orgel ein. Beiden wurde der Rheinlandtaler verliehen. Außerdem begründeten sie die Deutsch-Italienische Gesellschaft „Freunde der Friedensorgel Sant’Anna di Stazzema“. Schirmherren der Akti­on, die ein Zeichen für Frieden und Versöhnung setzen will, waren die Bundespräsidenten Rau und Köhler sowie Italiens Staatspräsidenten Ciampi und Napolitano.