Der Streit um den 123 Millionen Euro teuren Neubau an der Messe hat offenbar einen tiefen Riss mitten durch Essens Bürgerschaft bewirkt – und auf der Zielgeraden denen einen hauchdünnen Vorsprung beschert, die mit dem Wahlspruch „Keine Messe um jeden Preis“ in die Schlacht gezogen sind: Der geplante Abriss und Neubau eines Großteils des Messegeländes ist gekippt.

Und wie schon vor vier Monaten, als ein paar Dutzend Stimmen die Bundestagswahl im Südwahlkreis entschieden, kam es auch bei diesem Bürgerentscheid auf jede Stimme an. Am Ende lagen die Gegner der aktuellen Neubaupläne um gerade mal 962 Stimmen vor den Befürwortern – und das bei einer bemerkenswert hohen Abstimmungsbeteiligung: Nahezu 29 Prozent der knapp 457.000 stimmberechtigten Essener Bürger hatten sich zu einem Votum mobilisieren lassen.

Und verfolgten wie die Kombattanten auf beiden Seiten im Internet den ganzen Abend über ein dramatisches Kopf-an-Kopf-Rennen, bei dem mal die Befürworter und mal die Gegner um ein paar Dutzend oder ein paar hundert Stimmen vorn lagen.

Als die Gegner des 123-Millionen-Euro-Projekts am Ende die Nase vorn hatten, war der Jubel in der City-Kneipe „Panoptikum“ groß: Dort hatten sich Grüne und Linke als Initiatoren des Bürgerentscheids getroffen. Zeitgleich befiel im Messehaus Ost die breite Phalanx der „Pro Messe“-Bewegung lähmendes Entsetzen: Sie hatte sich auf die Unterstützung von SPD und CDU, von FDP und EBB, von Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden, Branchen-Lobbyisten und einflussreichen Privatpersonen stützen können – Oberbürgermeister Reinhard Paß nicht zu vergessen, der erst im Laufe des Tages aus Riga eingetroffen war. Er hatte in der lettischen Hauptstadt die Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres mitgefeiert – um am Abend eine seiner größten, wenn nicht die größte Niederlage seiner dreieinhalbjährigen Amtszeit einzufahren: Paß hatte sich als Aufsichtsrats-Vorsitzender der Messe eindeutig für den Messe-Teilneubau stark gemacht.

Jetzt ist dieser bis auf weiteres gekippt, die Mehrheit erreicht, das Mindestzustimmungs-Quorum von 45.690 Stimmen locker übersprungen. Die Auswirkungen sind noch nicht absehbar. Fakt ist: Die Messe Essen wird es weiter geben, in den US-Leasing-Verträgen über das Messe-Areal hatte sich die Stadt vor einigen Jahren zu einem dauerhaften Ausstellungsbetrieb bis mindestens zum Jahr 2032 verpflichtet.

Auf der anderen Seite steht mehr denn je die Drohung einiger Messe-(Mit-)Veranstalter im Raum, dem Messe-Standort Essen den Rücken zu kehren, wenn die angepeilte Erneuerung für 123 Millionen Euro nicht erfolgt.

Zuletzt hatten die Kritiker aus dem Lager von Grünen und Linken noch einmal vehement eine abgespeckte „Ertüchtigung“ des Messe-Areals ins Gespräch gebracht. Dazu könne man sich, so hatte es ein Rechtsgutachten ergeben, zumindest in Teilen auch der jetzt abgelehnten Pläne bedienen.

Ob die Stadt, ob die Politik, ob die Messe sich darauf einlässt – ob ein Neubau überhaupt in absehbarer Zeit durchführbar wäre, oder erneut erst Jahre der Vorplanung ins Land gehen müssen, ist offen. Die Messe Essen wird es weiter geben, nur wie – das ist seit gestern die große Frage.