Essen. . Eine Fehde zwischen zwei verfeindeten libanesisch-stämmigen Clans beschäftigt ab der kommenden Woche das Essener Landgericht. Mehrere Beteiligte hatten sich im August 2012 eine wüste Auseinandersetzung auf offener Straße geliefert. Angeklagt sind zwei Brüder. Sie sollen aus Rache gehandelt haben.

Es wird ein kleiner Mammut-Prozess: Acht Verhandlungstage sind vor dem Landgericht Essen angesetzt, 62 Zeugen hat die Staatsanwaltschaft benannt. Aufgeklärt werden sollen die Hintergründe einer Massenschlägerei zwischen den zwei libanesischen Großfamilien Z. und R., zu der die Polizei vor anderthalb Jahren mit einem Großaufgebot nach Altendorf ausgerückt war. Zwei Brüder, Mohammed (27) und Zakaria Z. (30), stehen ab dem kommenden Donnerstag vor Gericht - wegen Sachbeschädigung, gefährlicher Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung.

Pfefferspray in die Wohnung gesprüht

Gegen 13.30 Uhr gehen am 1. August 2012 gleich mehrere Notrufe bei der Leitstelle der Essener Polizei ein. Etliche Beteiligte sollen auf offener Straße am Holdenweg aufeinander losgehen. Das ist aus Sicht der Staatsanwaltschaft vorher passiert: Die zwei Angeklagten Z. fahren mit einem weiteren, minderjährigen Bruder zu einer Wohnung am Schölerpad, sie treten die Tür ein, finden niemanden vor und fahren zum Holdenweg. Dort lebt in einer Wohnung die Verlobte eines der drei Brüder, Samira R.; sie entstammt einem verfeindeten Clan und hat zahlreiche Familienangehörige zu diesem Zeitpunkt um sich versammelt. Es hat offenbar einen Tipp auf bevorstehenden, ungebetenen Besuch gegeben.

Die Brüder Z. sollen dann ein Loch in die Wohnungstür geschlagen und Pfefferspray ins Innere gesprüht haben. Schließlich gehen alle Beteiligten aufeinander los. Den Brüdern soll es gelungen sein, Samira R. durch das Treppenhaus auf die Straße zu zerren, auf der die wüste Schlägerei weiter geht. Und wo schließlich einer der drei Brüder, der Angeklagte Mohammed Z., selbst zum Opfer wird: Zwei drei Zentimeter tiefe Messerstiche bekommt der heute 27-Jährige ab. Sein Leben muss durch eine Notoperation gerettet werden.

Festnahme in unmittelbarer Tatort-Nähe

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft geht es in diesem Fall um Rache und ein völlig übersteigertes Ehrgefühl. Die Brüder Z. hätten die Familie R. heimgesucht, weil eine ihrer Schwestern mit einem Sohn aus dem verfeindeten Clan „durchgebrannt“ sein soll. Während einer der Angeklagten, der 30-jährige Zakaria Z., bislang keine Angaben zu den Tatvorwürfen gemacht hat, sagte sein jüngerer Bruder Mohammed, er habe lediglich seine Freundin Samira R. sehen wollen. Die Wohnungstür hätten sie zerstört, weil ihnen nicht geöffnet worden sei. Auch Samira R. zog sich bei der wüsten Auseinandersetzung Platzwunden und Prellungen zu. Die Polizei hatte unmittelbar nach dem Einsatz von mindestens sechs Verletzten gesprochen. Trotz seiner schweren Verletzungen hatte Mohammed Z. noch zu fliehen versucht. Die drei Brüder wurden nach der Schlägerei in unmittelbarer Tatort-Nähe festgenommen. Sie befinden sich derzeit auf freiem Fuß.

Polizei und Justiz ist Mohammed Z. durch etliche Vorstrafen bekannt. Zum Tatzeitpunkt stand er wegen einer vorherigen Verurteilung unter Bewährung. Nicht mitangeklagt ist im in der nächsten Woche startenden Prozess der jüngste, noch minderjährige Bruder. Ihn erwartet wohl noch ein separates Verfahren.

„Kriminelle haben bei uns keinen Platz“

Dass es überhaupt zu einem Prozess kommt, ist bemerkenswert. In der Regel dringen die Strafverfolgungsbehörden in solchen Fällen nicht zu den Beteiligten vor. Es schweigen Opfer wie Täter gegenüber den Ermittlern. Auch die Rollenverteilung bleibt so zwangsläufig im Unklaren. In diesem Fall ist das offenbar anders. Aufgrund von Zeugen-Aussagen glaubt die Staatsanwaltschaft genügend Belege für die Schuld der Angeklagten vorlegen zu können. Betroffene aus Familie R. lassen sich zudem von Nebenklage-Vertretern in dem Prozess vertreten.

Keine vier Wochen nach dem Vorfall in Altendorf waren libanesische Großfamilien Ende August 2012 erneut aneinander geraten - diesmal in Altenessen. Einen Zusammenhang zwischen den beiden Schlägereien wollte die Polizei damals weder bestätigen noch dementieren. Dafür verurteilte Oberbürgermeister Reinhard Paß kurz darauf die „Unruhen durch libanesische Familienclans“. Der OB sagte wörtlich: „Für die Stadt Essen stelle ich klar: Kriminelle haben bei uns keinen Platz.“ Auch wenn sich die Lage kurze Zeit später beruhigte: Immer wieder lieferten sich Mitglieder diverser Clans in den Folgejahren teils blutige Auseinandersetzungen in Norden der Stadt. Die Fehde der Familien R. und Z. vom Holdenweg wird das Landgericht Essen jetzt erstmal bis mindestens Ende Februar beschäftigen.