Essens Steinmetze müssen auf den fundamentalen Wandel in der Bestattungskultur reagieren:Da aufwendige Grabstätten immer weniger gefragt sind, stellen sie ihr Handwerk in den Dienst moderner Häuser

Neue Arbeitsfelder: Da das Geschäft mit Grabsteinen immer weiter abnimmt, bearbeiten Restauratoren wie Karsten Witte beim Steinmetz Goldkuhle verstärkt andere Objekte mit dem Druckluft-Meißel. Foto: WAZ, Frank Vinken
Neue Arbeitsfelder: Da das Geschäft mit Grabsteinen immer weiter abnimmt, bearbeiten Restauratoren wie Karsten Witte beim Steinmetz Goldkuhle verstärkt andere Objekte mit dem Druckluft-Meißel. Foto: WAZ, Frank Vinken © frank vinken / waz

Wenn Jürgen Müller-Goldkuhle Luftbilder vom Parkfriedhof aus den 20er oder 30er Jahren anschaut, wird ihm so richtig bewusst, "dass die Wertetabelle sich verändert hat". Die Aufnahmen zeigen einen prachtvoll gestalteten Ort der letzten Ruhe, viele Grabmale, "sechs- bis achtstellige Gräber", wie Müller-Goldkuhle sie nennt und damit auffallend große Grabstätten meint. Wer zeigen wollte, was er zu Lebzeiten war, leistete sich einen großen Stein mit viel Platz drumherum. Das Grab als post mortales Statussymbol. "Dabei hatten die Leute nicht mehr Geld als heute", sagt Müller-Goldkuhle.

Jürgen Müller-Goldkuhle ist Obermeister der Essener Steinmetze und führt in dritter Generation einen Betrieb, den es schon seit 1897 gibt. Seit er vor 50 Jahren den Beruf ergriff, hat sich die Bestattungskultur in der Stadt so fundamental gewandelt, dass er ziemlich trocken feststellen muss: "Das Grabmal ist nach 150 Jahren Blüte heute nur noch ein kleiner Teil unserer Arbeit."

Inzwischen wird jeder zweite Tote in Essen verbrannt. Die Verstorbenen lassen sich in Urnenwänden beisetzen oder anonym auf der freien Wiese oder in kleinen Erdgräbern, immerhin. Die Trauerkultur sei dahin, klagt der Bundesinnungsverband des Deutschen Steinmetzhandwerks. Vorbei die Zeiten, als Johann Müller-Goldkuhle gemeinsam mit den Hinterbliebenen darüber nachdachte, welcher Stein der Persönlichkeit des Verstorbenen gerecht würde. Heute schwindet offenkundig das Bedürfnis nach einem Ort der Trauer, häufig fehlen Geld oder religiöse Bindung. Grabschmuck und -pflege werden als teure Last gesehen.

Das gute Dutzend Essener Steinmetze versucht nicht ganz uneigennützig, die Bestattungskultur wachzuhalten. Beim "Tag des Friedhofs" etwa will man das Bewusstsein für den Wert von Trauerritualen schärfen. Es gibt erste Städte, die beispielhafte Musterfelder auf den örtlichen Friedhöfen anlegen, um zu zeigen, wie es einmal war und wieder sein könnte. "Die Einstellung der Menschen zu verändern, ist aber schwer", sagt Müller-Goldkuhle. Der Anteil der beantragten Grabmalgenehmigungen ist in den vergangenen zehn Jahren um 50 Prozent zurückgegangen, meldet die Kreishandwerkerschaft Essen.

Die Steinmetze machen die Hälfte ihres Umsatzes inzwischen im erweiterten Baubereich. Restaurationen, teure Treppen oder edle Granitarbeitsplatten für die moderne Küche sind ein lukrativeres Geschäft als das herkömmliche mit dem Tod. Granitplatte statt Grabmal? Zu Zeiten seines Großvaters, sagt Jürgen Müller-Goldkuhle, sei ein solches Zeitgeistphänomen gewiss unvorstellbar gewesen.