Essen. . Bis 2022 soll der öffentliche Nahverkehr barrierefrei sein. So sieht es der Bund vor. Doch obwohl sie sich bemühen, werden es Stadt und Evag nicht rechtzeitig schaffen. Sie müssten 234 Millionen Euro aufbringen.
Wer im Rollstuhl sitzt, auf eine Gehhilfe angewiesen, körperlich eingeschränkt ist oder mit dem Kinderwagen zwischen Byfang und Borbeck mobil sein will, hat es in Essen nicht immer leicht: Barrierefrei ist der öffentliche Nahverkehr nur begrenzt. Bus, U-Bahn, Tram und Haltestellen haben einen enormen Nachholbedarf. Insgesamt 234 Millionen Euro schätzen die Verkehrsexperten bei der Stadt und der Evag. Das Personenbeförderungsgesetz des Bundes sieht vor, dass „für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen“ ist. Davon ist Essen jedoch weit entfernt. Und auch davon, das notwendige Geld bis dahin aufzutreiben.
1,14 Millionen Euro zahlt das Land
In der Stadt gibt es momentan 627 Bushaltestellen, darunter 600 reine Bushaltestellen mit 1290 Steigen. „Davon sind 64 Haltestellen barrierefrei umgebaut. Das entspricht einer Quote von elf Prozent“, sagt Martin Rätzke vom Presseamt der Stadt. Das Thema Barrierefreiheit und wie sie lokal umgesetzt wird, regelt der Nahverkehrsplan (NVP). Er wurde bereits einmal fortgeschrieben, soll in diesem Jahr jedoch erneut überarbeitet werden. „Nach Schätzungen aus dem Jahre 2012 benötigen wir für den barrierefreien Umbau der Bushaltestellen 34 Millionen Euro“, sagt Rätzke. Es sei vorgesehen, ab 2014 jährlich Mittel aus der ÖPNV-Pauschale des Landes in Höhe von 1,14 Millionen Euro für den barrierefreien Umbau der Bushaltestellen zu verwenden.
Wer rechnet, merkt schnell, das es so fast 30 Jahre dauert, bis das Ziel der vollständigen Barrierefreiheit erreicht wird. Eigenmittel, die sie aufwenden kann, fehlen der klammen Kommune. Aber es gibt Schlupflöcher im Bundesgesetz: „Die Frist gilt nicht, sofern im Nahverkehrsplan Ausnahmen konkret benannt und begründet werden.“ Um zusätzliche Kosten zu sparen, baut die Stadt Haltestellen immer dann barrierefrei um, wenn die Fahrbahnen erneuert oder andere Straßenbau-Projekte notwendig werden.
Auf Seiten von Evag und Via Verkehrsgesellschaft kümmert sich Susanne Borgert um das Thema und noch größere Summen: 200 Millionen Euro müsste die Evag – nach einer sehr groben Schätzung – in den kommenden Jahren in die Hand nehmen, um die „vollständige Barrierefreiheit“ zu erreichen. Doch auch bei den städtischen Verkehrsbetrieben sind finanziell keine Luftsprünge zu machen. Dennoch: Allein in diesem Jahr investiert das Unternehmen 18,5 Millionen Euro (siehe Infobox). „Der Gesetzgeber hat sich wenig Gedanken über die Kosten gemacht und wer sie tragen soll. Nun trifft es vor allem die klammen Kommunen“, beklagt Borgert, die gerade einen „Masterplan Barrierefreiheit“ erarbeitet.
Im U-Bahnbereich sind 25 von 31 Haltestellen barrierefrei. Überall gibt es Hochbahnsteige, aber bei sechs Haltestellen fehlen Aufzüge. Ausnahmen soll es für den Bismarckplatz, den Hirschlandplatz und die Planckstraße geben. So sieht es jedenfalls der Nahverkehrsplan vor, denn hier sind laut Borgert die Kosten zu hoch, außerdem gebe es Ausweichhaltestellen in der Nähe.
Weniger rosig sieht es im Straßenbahnbereich aus: Bisher sind 20 der 100 Haltestellen barrierefrei. Fuhrparkbedingt werde sich dies aber bereits in diesem Jahr ändern. „Im Moment haben wir leider einen sehr durchmischten Fahrzeugpark“, betont Susanne Borgert. Das wird sich erst ab Herbst ändern, wenn die 27 neuen Niederflur-Bahnen durch Essen rollen. Die Lebenserwartung der barrierefreien Wagen beträgt 30 Jahre. Dafür investiert die Evag zusätzlich 70 Millionen Euro. Sind sie da, wird das Liniennetz verändert und überwiegend Niederflurbahnen eingesetzt – nur nicht auf der Südstrecke (101, 107). Sie bleibt mit ihren drei Haltestelle ein Sorgenkind. Die Bahnen halten dort auf der Straße, die Haltestellen sind jedoch auf dem Bürgersteig. Borgert: „Dort Mittelbahnsteige zu bauen, wäre teuer und aufwändig.“
Umbau-Paket der EVAG
Für das laufende Jahr hat die Evag ein Paket geschnürt, das den barrierefreien Bau oder Umbau folgender Strecken und Haltestellen vorsieht:
Berthold-Beitz-Boulevard: Auf dem Berthold-Beitz-Boulevard wird ab Januar eine 1,3 Kilometer lange Neubaustrecke für die Linie 109 errichtet. Auf circa 600 Metern wird die 109 künftig auf einer eigenen Trasse, unabhängig vom Individualverkehr verkehren. Die Kosten dafür liegen bei rund 8 Millionen Euro. Ab Dezember 2014 werden dann ebenfalls die Haltestellen Frohnhauser Straße und Schederhofstraße eingerichtet.
Alfred-Krupp-Schule: Für die Linien 106 und 109 wird an der Alfred-Krupp-Schule in Richtung Ost-West ein 30 Meter langer Bahnsteig für Busse und Straßenbahnen in Seitenlage gebaut. In Richtung Nord-Süd entsteht ein Mittelbahnsteig für die Linie 106. Der Anteil der Evag liegt bei circa 5 Millionen Euro. Die Arbeiten sollen im Juni beginnen und im Dezember abgeschlossen sein.
Cäcilienstraße: Für die Linie 106 wird an der Cäcilienstraße am Fahrbahnrand ein sogenannter „Kapbahnsteig“ errichtet und 250 Meter Gleis ausgetauscht. Hier werden rund 1,7 Millionen Euro investiert. Gebaut wird von Juni bis Dezember.
Schwanenbusch: Für die Linie 109 entstehen am Schwanenbusch zwei neue Haltestellen in Höhe des Franz Sales Hauses. Dafür werden die Bahnsteige angehoben; 300 Meter Gleise werden erneuert. Der Anteil der Evag liegt bei 2 Millionen Euro. Auch hier wird von Juni bis Dezember gebaut.
Kronenberg: Für die Linien 101, 103 und 105 wird am Kronenberg ein Mittelbahnsteig errichtet. Kostenpunkt: 4 Millionen Euro, 1,8 Millionen trägt die Evag. Baubeginn ist im Januar 2014.