Essen. . Kindheitserinnerungen der Kriegsgeneration: Die beiden NRZ-Leser Winfried Borgers und Wolfgang Schäfer berichten von ihren Erlebnissen aus dem Essen der 30er und 40er Jahre. Eine Geschichte über scheinbar endlose Nächte Bombennächte im Luftschutzkeller, die Arbeit auf dem Kartoffelacker und Tauschgeschäfte mit Kaffee.

Winfried Borgers denkt noch oft an den Tag zurück, an dem er das erste Mal mit seiner Familie in den Luftschutzkeller musste. An das Heulen der Sirenen, an den Bunker neben der Zeche Wolfsbank, in dem die Familie immer wieder Schutz sucht und an den Moment, in dem eine Bombe in eines der Borbecker Nachbarhäuser einschlägt. „Alle Fensterscheiben waren kaputt, den Ofen hat der Luftdruck umgeworden und wir waren sofort von Kopf bis Fuß schwarz voll Ruß,“ erinnert sich der heute 78-Jährige.

Für die damaligen Kinder gehört der Krieg zum Alltag. Borgers erzählt, dass man das Ganze nicht so ernst genommen habe, denn man habe ständig in den Ruinen und im Schutt gespielt. „Ein besonders beliebtes Spiel war Bombensplitter sammeln. Ich hatte einen kleinen Sack, den ich mit mir herumgetragen habe. Nach einem Angriff waren immer neue zu finden. Die Splitter waren nicht ungefährlich, denn sie hatten ganz zackige Ränder, und man konnte sich sehr leicht an ihnen verletzen.“

Wie die meisten Angehörigen seiner Generation, verbringt Borgers einen großen Teil des Krieges bei fremden Menschen auf dem Land. Als er 1950 wieder in seine Geburtsstadt kommt, notiert er Folgendes: „Als ich in Altenessen aus dem Zug steige, hat sich für mich der Kreis geschlossen. Ich bin wieder da, wo ich Essen vor knapp acht Jahren verlassen habe. Rückblickend muss ich sagen, für uns Kinder war es eine gute Zeit. Bei meinen Pflegeeltern war es sehr schön, und sie haben alles, was möglich war, für meine Eltern und ganz besonders für mich getan.“

Die Familie kommt vorübergehend bei Verwandten unter und beginnt mit dem Wiederaufbau des zerstörten Hauses. Borgers erinnert sich an eine enorme Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung: „Alle haben sie geholfen, ein Behelfsheim aufzubauen. Es wurden jeden Tag im Trümmerhaufen Ziegelsteine geklopft und Sand ausgesiebt, Restmauern mit Winden eingerissen und Schutt abgefahren. Alles reine Handarbeit,“ erzählt er weiter.

In den Jahren nach dem Krieg dominiert die Tauschwirtschaft. Alles wird gehandelt, was sich wegtragen ließ. „Die beste Währung waren aber Zigaretten und Kaffee“, schreibt Winfried Borges in seinen Lebenserinnerungen. Vieles hat er sich von der Seele geschrieben. Die Erinnerungen an Gute wie an schlimme Momente.

Wolfgang Schäfer erzählt von der Kartoffelfront

Auch Wolfgang Schäfer hat seine Kindheitserlebnisse zu Papier gebracht. Wie er selbst sagt, hat er schließlich das ganze Schlamassel miterlebt. Mittlerweile berichtet er in Essener Gymnasien über seine Erinnerungen an die Nazi-Zeit. Die Geschichten auf der Internetseite www.raeuberpistole.net handeln von Schäfers Jugend in Bredeney, den Streichen, die er anderen Kindern aus der Nachbarschaft gespielt hat und der Arbeit auf dem Feld. „Kartoffelfront“ sagt der inzwischen 82-Jährige dazu.

„Mein Bruder wurde mit seinem Jungzug zur Kartoffelernte zu einem Bauern in Schuir abkommandiert. Dort oben auf dem Berg befanden sich bald darauf die Stellungen der schweren Flak. Irgendwie hatte ich spitzgekriegt, dass es anschließend Bratkartoffeln zu vertilgen gab. Ich quälte daraufhin meine Mutter so lange, bis sie bei dem Bauern anrief. Sie erzählte ihm, dass sie noch so einen kleineren, quirligen Jungen hätte, der gerne mithelfen wolle. ,Dann schicken Sie ihn mal mit’, antwortete der Bauer.“

Schäfer erinnert sich noch heute mit einem gewissen Stolz, dass er damals keine einzige Knolle liegen ließ. „Unsere Belohnung waren die braun gebrannten Bratkartoffeln. Nach der Fresserei konnte ich fast nicht mehr laufen“. Am darauf folgenden Tag gingen die Kinder dann doch wieder los, um Kartoffelkäfer von den Blättern zu pflücken.

Während seiner Jugend verließ Schäfer nur ganz selten die gewohnte Umgebung in Bredeney. Eine Fahrt in die große Stadt hatte für ihn Seltenheitswert. Am Hauptbahnhof angekommen wurde ihm danach gleich schlecht und die Familie musste umkehren. Zu dieser Zeit bewohnten die Schäfers eine Hochparterre-Wohnung auf der Daimlerstraße. Mit den anderen Jungs aus der Nachbarschaft gründet er eine Bande, die meistens auf der Straße oder im nahe gelegenen Wald miteinander Cowboy und Indianer spielte.

„Nach den Schularbeiten trafen wir uns auf dem Garagenhof hinter unserem Haus. Hauptanziehungspunkt war der unglaubliche Fundus an Karnevalsklamotten, Holzgewehren und, als Prunkstück, ein echter Türkensäbel mit Blutrinne. All diese Dinge hatte meine Mutter mit in die Ehe eingebracht. Wir meinten, das Blut am Säbel noch zu sehen, aber es muss wohl etwas Rost gewesen sein. Mit diesem Säbel waren wir in der Lage, kinderarmdicke Äste abzuschlagen,“ schreibt Schäfer in seinen Erinnerungen. Einige Seiten weiter heißt es dann: „Eine große Schaukel aus Stahlrohren, auf der ich bis in die Äste eines Baumes schwebte, war meine Lust und auch Seelentrost in schweren Zeiten.“