Essen. . Seit 1982 ist die Essener Beratungsstelle „Distel“ Anlaufstelle für Frauen in Krisen-Situationen. Häusliche Gewalt und psychische Belastungen im Beruf nehmen immer mehr zu, weiß das Berater-Team. Die Distel würde gerne mehr Betreuungsangebote schaffen. Dafür fehlen aber Mittel und Kapazitäten.
Die Zeit zwischen den Jahren – es sind Tage, an denen sich die meisten Menschen nach Harmonie und Geborgenheit sehnen. Für viele der rund 300 Frauen, die jährlich in die Beratungsstelle Distel e.V. kommen, bleibt das ein unerfüllter Wunsch: „Das Thema Gewalt, physischer, psychischer und sexualisierter Natur, nimmt immer mehr Raum ein. War vor zehn Jahren noch ein Drittel der Frauen, die zu uns kamen, von Gewalt betroffen, ist es mittlerweile gut die Hälfte“, sagt Psychologin und Psychotherapeutin Anja Aufermann. 1982 in Bochold gegründet, hätten sich die Schwerpunkte der Frauenberatungsstelle mittlerweile verändert, weiß auch Psychologin und Psychotherapeutin Brigitte Kissel, die fast von Anfang an dabei ist. „Früher gab es viele Selbstfindungs-Gruppen. Das Thema Feminismus spielte eine große Rolle“, erinnert sie sich.
Heute ist das Team aus fünf in Teilzeit fest angestellten Frauen auch Auffangbecken für das desolate psychologische Versorgungsnetz der Stadt. „Ein halbes bis ein Jahr Wartezeit ist völlig normal, um einen Termin beim Therapeuten zu bekommen“, weiß auch Pädagogin und Gruppentherapeutin Bia Peitz. In der durch einen Förderverein getragenen und mit Mitteln von Land und Stadt unterstützten Einrichtung ist das anders. „Wir versuchen, so schnell und unkompliziert wie möglich eine Erstberatung anzubieten. Die Termindichte bei uns wird dabei aber immer höher“, sagt Aufermann.
„Die Frauen wollen bewusst an der Situation“
Besonders viele Frauen suchten zum Jahresbeginn Hilfe. „Natürlich ist das Jahresende die Zeit des Bilanzierens. Das gilt auch für das psychische Wohlbefinden. Viele denken sich, dass sie das nicht noch ein Jahr ertragen können“, weiß Aufermann. Dabei habe die häusliche oder sexualisierte Gewalt in den vergangenen Jahren eine „Enttabuisierung“ erfahren. „Die Frauen sprechen offener darüber, wollen bewusst an der Situation arbeiten“, sagt Brigitte Kissel.
Ebenfalls gestiegen sind die psychischen Belastungen im Beruf. Gaben 2004 noch fünf Prozent der Frauen berufliche Probleme oder Druck an, so sind es mittlerweile 88 von 301 Menschen und damit fast ein Viertel. „Frauen müssen immer mehr sein – möglichst die perfekte und gut aussehende Karrierefrau, die nebenher natürlich noch den Haushalt schmeißt und für ihre Kinder da ist. Der Druck ist gewachsen“, weiß Bia Peitz.
Angesichts des gestiegenen Bedarfs würde die Distel gerne mehr Betreuungsangebote schaffen – dafür sind Mittel und Kapazitäten allerdings zu gering. Als neues Angebot wird aber ab Montag, 27. Januar, eine neue Gruppe für Frauen mit Essstörungen ins Leben gerufen werden.
Kontakt:
Die Beratungsstelle ist montags bis freitags zwischen 9 und 16.30 Uhr besetzt und zu erreichen unter Tel.77 67 77 oder per Mail an: info@distel-ev.de.
Den Frauen wird Hilfe bei Krisen, Ängsten oder Depressionen, psychosomatischen Beschwerden, Gewalterfahrung, Trennungs- und Scheidungs-Situationen, sowie Essstörungen angeboten.