Essen. . Die Karte der „Gussstahlfabrik“ von 1889 illustriert, wie dramatisch die Stadt ihr Gesicht verändert hat. Die Altstadt kommt kaum über die Linie der Stadtmauer hinaus und daneben herrscht „Wilder Westen“. Zechen, Fördertürme, Walzwerke, Dampfhämmer und Eisenbahnen schießen aus dem Boden.

Essen vor 125 Jahren: Eine Boom-Ära, in der Zechen und Fördertürme, Schmelzöfen und Walzwerke aus dem Boden schießen. Eine dynamische Zeit, in der neben der noch sehr überschaubaren Stadt eine neue von atemberaubender Größe entsteht: die „Fabrikstadt“ Krupp.

Die Karte von 1889 (siehe unten), die diesen rasanten Wandel anschaulich dokumentiert, ist für jeden stadthistorisch Interessierten ein kleines Juwel. Aufbewahrt wird sie im Historischen Archiv Krupp auf dem Hügel. Schließlich hat die „Fried. Krupp Aktiengesellschaft“ sie im Jahre 1912 eigens zum 100-jährigen Firmenjubiläums in Auftrag gegeben.

Die Karte hilft auch einzutauchen, in jene turbulente Epoche, in der am Westkopf des heutigen Hauptbahnhofs jener Hohlraum entstanden ist, der nun als „Problemstollen“ für Kopfzerbrechen sorgt. Schon damals liegt ein Gleisbündel darüber. Es gehört der Bergisch-Märkischen Eisenbahn, die dort auch den gleichnamigen Bahnhof errichtet hat. Folgerichtig heißt die Straße, die zur Station führt, auch Bahnhofsstraße (heute Hindenburgstraße).

Drei Linien durchziehen die Stadt

Während die „Stadt Essen“ nur zögerlich die Kreislinie der alte Stadtmauer zu überwinden scheint, herrscht direkt nebenan „Wilder Westen“. Es ist die ungestüm expandierende Gussstahlfabrik, die der Landschaft jetzt mit Gewalt ihren Stempel aufdrückt. Die Fabrikstadt ist 1889 schon ein Vielfaches größer als die „Stadt“.

Nicht breite Straßen sind die Adern dieser stürmisch wachsenden Industriestadt, sondern die Eisenbahnen. Drei Linien durchziehen die Stadt: die Köln-Mindener, die Rheinische und die Bergisch-Märkische Eisenbahn. Sie schaffen das Erz heran, das Krupp so dringend für seinen Gussstahl benötigt. Über Schienen rollt auch die Kohle heran, die quasi vor der Haustür liegt. Die Karte zeigt die Zechen Hoffnung, Mathias, Sälzer und Neuack sowie den riesigen Kohlenlagerplatz von Krupp.

Die größte Stahlfabrik der Welt hat 1889 schon 20.000 Beschäftigte und Essen „nur“ 60.000 Einwohner. Welche Ausmaße der Stahlgigant, zu diesem Zeitpunkt schon „Waffenschmiede des Reiches“, angenommen hat, illustriert Dietrich Baedekers faszinierende Aufzählung. Krupp – das sind 44 Kilometer normalspurige und 29 km Werkseisenbahn, 14 Tenderlokomotiven mit 540 Waggons sowie 14 Schmalspurloks mit 450 Waggons, 1 195 Öfen, 286 Dampfkessel, 21 Walzenstraßen, 370 Dampfmaschinen, 92 Dampfhämmer, 361 Kräne und 1724 Werkzeugmaschinen.

Straßen liefen mitten durch das Werksgelände

Bücher zum Thema

Bilder von Krupp: Fotografie und Geschichte im Industriezeitalter; Klaus Tenfelde (Herausgeber); 384 Seiten, C. H. Beck; 2. Auflage 2000; 39,95 Euro.

Krupp – Fotografien aus zwei Jahrhunderten; 2011; Deutscher Kunstverlag; 200 Seiten; 24,90 Euro.

„Wie eng Krupp und Essen verzahnt sind, zeigen die Altendorfer und Frohnhauser Straße, die mitten durchs Werksgelände liefen“, sagt Heinfried Voß vom Historischen Archiv Krupp. Um dringend benötigte Arbeitskräfte aus allen Teilen des Reiches in den „Verband“ (Alfred Krupp), einzugliedern, setzt die Firma riesige Arbeiterkolonien auf die grüne Wiese: zum Beispiel Cronenberg in Altendorf und Schederhof.

Im Grunde entsteht Essen durch Krupp neu, so dass die berühmte Gleichung seitdem ganz zu recht gilt: Essen ist Krupp, Krupp ist Essen.