Essen. Den „Problemstollen“ am Hauptbahnhof haben sie um 1750 begonnen aufzufahren. Er führt wohl bis zum Waldthausenpark und diente der Entwässerung. In den Flözen unterhalb der Mergelschicht lagerte dringend benötigte Fettkohle für die Koksverarbeitung.
Der wahnsinnige Bergschaden am Westkopf des Hauptbahnhofs - eine Baustelle, die große Rätsel aufgibt. Seit Tagen treiben sie rund um die Uhr Bohrer in den breiten Bahndamm, längst hat die gebohrte Länge einen Kilometer überschritten.
Sie suchen nach Hohlräumen in Flöz und Stollen - lauter Hinterlassenschaften einer längst vergangenen Epoche. Einer, in der das beschauliche Ackerbürgerstädtchen binnen weniger Jahrzehnte zum strahlenden Zentrum von Bergbau und Stahl im Reich aufsteigt.
In der Luisenschule, nur ein Steinwurf vom „Problemstollen“ entfernt, leitet Klaus Wisotzky leitet das „Haus der Essener Geschichte“ - sozusagen das Gedächtnis der Stadt. Er sagt: „Essen war in der Zeit um 1850 absolute Boomtown.“
Roter Punkt: „Tagesbruch 1860“
Wenige Jahre zuvor haben sie hier die Mergeldecke durchstoßen und in tieferen Schichten jene wunderbare Fettkohle gefunden, die so wichtig für die Koksverarbeitung ist. Koks, den wiederum der alte Krupp so dringend benötigt für seine atemberaubend anwachsende Gussstahlfabrikation. Für Radreifen, Bandagen und Schienen, die das Reich mobil machen - und noch mehr Erz und noch mehr werktätiges Volk in die „Boomtown“ Essen pumpen.
Dort, wo Regionalzüge heute in Schleichfahrt in den Hauptbahnhof kriechen, erstreckte sich damals das Grubenfeld der „Zeche Secretarius Aak“, die später von der „Zeche Hoffnung“ übernommen wird. Zechen, von denen heute nur Straßennamen geblieben sind: die kurze Akstraße etwa und daneben die Hoffnungstraße. „Zechen schießen in jenen Jahren aus dem Boden wie Pilze nach Regen“, sagt Wisotzky.
Unseren 16 Meter tiefen „Problemstollen“, der womöglich gefährliche Hohlräume aufweist und deshalb jetzt den Lebensnerv der Einkaufsstadt so empfindlich trifft, hatten sie schon um 1750 aufgefahren. Und dann zu einem Entwässerungsstollen verlängert, der offenbar bis zum heutigen Waldthausenpark reicht.
Historische Karten enthalten Warnungen zuhauf
„Sie sind auf Flöze gestoßen und haben sie oberhalb der Stollensohle abgebaut“, sagen die Montan-Experten in der Baubude neben dem abbruchreifen AEG-Haus. Beweis für den Abbau sind die gefährlichen Hohlräume, auf die die Bohrer jetzt in Flöz Dickebank 1 stießen. Aus Angst, ein Tagesbruch könne die Züge aus dem Gleis und schlimmstenfalls sogar vom 8 Meter hohen Damm auf die Bert-Brecht-Straße werfen, lässt die Bahn ihre Züge vorsichtshalber nur mit fünf Stundenkilometern über die Schienen zuckeln. Die historischen Karten in der Baubude enthalten Warnungen zuhauf. Neben roten Punkten steht: „Tagesbruch 1840“ und „Tagesbruch 1860“. Letzterer liegt bedenklich nah am „Problemstollen“ und direkt hinterm Eisenbahnbundesamt an der Hachestraße.
Diese führt auf die Hindenburgstraße, die 1862 Bahnhofstraße hieß, weil sie genau auf den „Bergisch-Märkischen Bahnhof“ führte. Auf seiner Südseite (heute A-40-Tunnel) lag damals der Steinbruch, aus dem sie im Mittelalter den Sandstein für die Stadtmauer schlugen.
In der Blütezeit des Essener Bergbaus, als hunderte Fördertürme und Schlote das Stadtbild prägten, scherte sich kaum jemand um Tagesbrüche und Bergsenkungen. „Das änderte sich erst um 1970“, sagt DMT-Projektmanager Frank Jurga. „Bis dahin kamen sie mit ein Paar Fuhren Erde vorbei, und das Loch war weg.“