Essen. Jeder vierte Essener wird anonym bestattet. Doch es gibt immer wieder Angehörige, die die Verstorbenen in ein normales Grab „zurückholen“ – auch um trauern zu können.

Fast jeder vierte verstorbene Essener wurde 2012 anonym bestattet: ohne Kreuz, ohne Grabstein, ohne ein Zeichen für Angehörige. „Diese Auslöschung des Namens ist ein schleichender Verlust unserer Trauerkultur“, bedauert Friedhofsgärtnerin Anja Kocks-Qayyum. Für die Ausbilderin an der Essener Gartenbauschule ein weiterer trauriger Beweis dafür, dass unsere Gesellschaft den natürlichen Umgang mit dem Tod verlernt hat.

Doch sie registriert auch einen anderen Trend: Immer wieder wünschen sich Hinterbliebene, dass die Anonymität aufgehoben wird und veranlassen eine Umbettung. „Sie merken, dass sie einen konkreten Ort zum Trauern brauchen.“ Denn ein Name steht für ein Leben in seiner ganzen Unverwechselbarkeit. Oft beobachtet die Gärtnerin, dass Friedhofsbesucher Schritte zählend die anonymen Bestattungsfelder abschreiten, um an dem vermuteten Grab ihres Verstorbenen innezuhalten und dort Blumen abzulegen.

„Eigentlich ist das ja nicht im Sinne einer anonymen Beisetzung“, sagt die Essener Bestatterin Simone Farwick. Früher, erzählt sie, durfte man als Angehöriger eine anonyme Beerdigung nicht mal begleiten. Das hat sich in den vergangenen sechs Jahren verändert. Immerhin. Auch im Bestattungsunternehmen von Simone Farwick stehen immer mal wieder Angehörige, die das namenlose Begräbnis der Mutter oder des Vaters rückgängig machen wollen. Sie haben dem Wunsch des Verstorbenen entsprochen, der sich oft aus falsch verstandener Rücksicht auf die Kinder für diese Bestattungsform entschieden hat. „Ich will niemandem mit der Grabpflege zur Last fallen“, hört Simone Farwick nicht selten als Erklärung.

Alternativen zum anonymen Grab

Dabei gibt es inzwischen andere Möglichkeiten der Bestattung, die zwar nicht an die in vielen Jahrhunderten gewachsenen Begräbnisrituale anknüpfen, aber zumindest nicht in der Anonymität enden. Die Wiesengräber gehören dazu. Dort ist keine Pflege außer Rasenmähen nötig, aber die Grabstelle erhält eine Steinplatte. Auch die naturnahen Urnen-Baumgräber werden immer öfter gewählt, weiß Hans-Joachim Hüser, als Abteilungsleiter für die städtischen Friedhöfe zuständig. Ein Stein oder ein bronzenes Namensschild erinnern dort an die Verstorbenen. Immer öfter werden auch Memoriam-Gärten angelegt: Der Anbieter garantiert für einen Festpreis ein Vierteljahrhundert die Pflege, Angehörige müssen sich um nichts kümmern.

Inzwischen, so Hüser, gibt es über 29 verschiedene Grabarten, vom Reihengrab bis zum anonymen Urnen-Sonderfeld auf dem Hallo-Friedhof. Dort werden Verstorbene am preisgünstigsten beerdigt – 598 Euro kostet die Bestattung. Mehr als zehn Prozent aller Essener Verstorbenen des vergangenen Jahres liegen dort, die meisten der Beerdigungen wurden vom Ordnungsamt veranlasst. Doch von den 543 Menschen, die 2012 auf dem Sonderfeld beigesetzt wurden, hatten 160 noch Angehörige.