Essen. Eine Gesichtsbehaarung wirkt düster und schadet der Karriere. Das meint zumindest ein Bewerbungs-Experte. Doch Essener widersprechen. Wir haben Unternehmen aus der Region zu ihrer Personalpolitik befragt und mit Persönlichkeiten gesprochen, die trotz oder gerade wegen ihres Barts Karriere gemacht haben.

Ein Vollbart und am besten noch schneeweiß – damit könnte Mann dieser Tage auf dem Arbeitsmarkt etwas reißen, scherzt Michael Kinzler, Sprecher der Essener Arbeitsagentur. Die Adventszeit steht vor der Tür, da sind Stellenangebote für Nikoläuse keine Seltenheit am Berliner Platz. Doch wie haarig darf es in der weihnachtsmannfreien Zeit in den Firmen zwischen Karnap und Kettwig zugehen? Was geht? Der Schnäuzer der 80er Jahre, das Ziegenbärtchen oder der unprätentiöse Drei-Tage-Bart? Besser gar keiner, das sagte vor kurzem der bekannte Managercoach Thomas Wachtel gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. „Ein Bart schadet der Karriere“, verkündete der Experte. Er sollte es wissen. Oder doch nicht?

Der Welt einziger „Bartmaler“ Marco Figgen aus Essen sähe das bestimmt anders, der schnauzbärtige Karnaper EBB-Haudegen Udo Bayer wahrscheinlich auch. Mehr Erfolg durch fehlende Gesichtsbehaarung? So ganz unernst ist das Thema nicht in der Arbeitswelt. Torsten Withake, Chef der Arbeitsagentur, trug bis vor wenigen Jahren selbst noch Bart. Die Frage, ob solche Fusseln der Karriere schaden, könne er zwar nicht pauschal beantworten. Hauptkriterium für eine berufliche Karriere sollte zunächst die fachliche Qualifikation des Bewerbers sein. Aber: „Extrem lange Haare, Tattoos oder ein strubbeliger Vollbart dürften nicht von Vorteil sein.“ Ausnahmen? Stellenanzeigen, in denen explizit ein Bart verlangt werde. Womit wir wieder beim Nikolaus und Kaufhäusern, Firmenfeiern oder Weihnachtsmärkten wären.

Das Erscheinungsbild muss stimmen

Während in der Werbung immer häufiger bärtige reife Männer auftauchen, stellt man sich die Personalpolitik der Essener Unternehmen dagegen weitaus konservativer vor. Weit gefehlt. „Wir meinen: Auch mit Bart kann alles ganz glatt gehen. Schließlich wollen wir keine Probleme an den Haaren herbeiziehen“, sagt etwa Evonik-Sprecher Ruben Thiel. Solange die Arbeitssicherheit gewahrt bleibe und das äußere Erscheinungsbild gepflegt ist, gehe ein Bart in Ordnung.

Bei ThyssenKrupp ist gar der Personalchef Bartträger und auch Oliver Burkhard, Mitglied des Vorstandes, gehört zur Reihe der Männer, die es trotz Gesichtsbehaarung zu etwas gebracht haben. „Wir haben die Äußerungen des Managercoaches mit Erstaunen zur Kenntnis genommen und können dies in keiner Weise nachvollziehen“, meint Sprecher Robin Zimmermann. Ähnlich äußert sich auch die Sparkasse: „Wir legen auch Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Am Schalter kommen dann noch Anzug und Krawatte hinzu, aber Bärte spielen da keine Rolle. Da sind Ohrringe bei Männern oder sichtbare Tattoos kritischer zu sehen“, so Sprecher Volker Schleede.

Grundsätzliche Regeln gibt es auch bei der Essener Stadtverwaltung nicht. „Je nach Aufgabe muss das Äußere adäquat sein“, sagt der zuständige Personaldezernent Christian Kromberg. Das sei natürlich ein weites Feld, aber er kenne nur einen Fall, in dem man bei einem Mitarbeiter habe einschreiten müssen. „Wer früher Bart trug, war entweder politisch links oder ungepflegt, da sind wir heute doch längst von entfernt.“ Heute sei das eher ein Ausruf der Persönlichkeit. „Man muss da selbstkritisch mit sich sein. Ich hatte nie einen Bart, selbst meine Frau sagt, mir stehe keiner“, sagt Christian Kromberg.

Es geht um die Vertrauenswürdigkeit

Gut, Männer halten zu Männern, und die Ehefrauen sind eher skeptisch, doch was sagt eine Expertin zu der Materie. „Entscheidend ist, um was für einen Bart es sich handelt und wie gepflegt er ist“, erklärt Bewerbungstrainerin Alexandra Epgert aus Rüttenscheid. „Manche Bärte stehen für Seriosität und manche halt nicht. Im Endeffekt geht es immer um Vertrauenswürdigkeit und wie ich auftrete.“

Ihrer Ansicht nach ist etwa der Schnauzbart heute nicht mehr modern. Andererseits gebe es Personen, bei denen der Bart einfach dazu gehöre. Alexandra Epgert: „Wenn ich jemand bin, der seine eigene Marke lebt und dies auch optisch mit dem Bart darstellt, ist das wieder etwas anderes.“

Ein Zeichen der Unverwechselbarkeit

Der eigene Bart als Zeichen für Unverwechselbarkeit, quasi als Markenbildung? Dazu passen unsere vier Beispiel-Männer auf den Fotos. Von oben nach unten im Vorher-Nachher-Effekt: Ex-Polizeisprecher Uwe Klein, SPD-Ratsherr und Evag-Straßenbahnfahrer Thomas Osterholt, FDP-Fraktionschef Hans-Peter Schöneweiß und – zu Anschauungszwecken – Oberbürgermeister Reinhard Paß. Ein Bart-Kämpfer erster Stunde ist Uwe Klein, doch der Gang durch die Behörde war für den ehemaligen Polizeisprecher nicht immer so beschwerlich. Von 1972 bis 1980 herrschte bei der Polizei in NRW ein so genannter „Haar- und Barterlass“. „Ein Vollbart war verboten, Kinnbart dagegen erlaubt, die Koteletten durften nicht länger als die Ohrläppchen sein“, erinnert er sich. Durch seine Arbeit auf der Pressestelle habe er anfangs auch manch bösen Kommentar bekommen, etwa: „Sprechen kann er ja gut, aber wenigstens rasieren könnte er sich mal.“ Seit seinem 21. Lebensjahr trägt er Bart, seine rebellische Einstellung ist ungebrochen: „Ich finde es unmöglich, wenn junge Leute wegen so etwas ausgeschlossen werden. Das sehe ich ebenso bei offenen Tattoos.“

Von den Haaren im Gesicht hat sich vor kurzem dagegen SPD-Ratsherr Thomas Osterholt (52) aus Dellwig getrennt – nach 30 ununterbrochenen Bart-Jahren. „Meine Frau war damit nicht einverstanden, sie fand mich mit Bart besser. Mir gefielen die vielen grauen Haare nicht. Und da ich doch etwas eitel bin, hab’ ich mich dann rasiert.“ Den Stamm-Fahrgästen des Straßenbahnfahrers sei das bisher nicht aufgefallen. Ob er sich glattrasiert jetzt bessere Chancen auf dem Parteitag erhoffe? Da muss er lachen. Recht pragmatisch sieht es FDP-Fraktionschef Hans-Peter Schöneweiß: „Ich hab schon immer einen Schnäuzer getragen, wollte aber immer mal mehr als einen Drei-Tage-Bart.“ Daher trägt er es im Gesicht nun voller. Und die Karriere? „In einem Jahr bin ich in Rente, und außerdem: in der Politik ist das Fachliche wichtiger.“Und der OB? Bis auf einen kleinen Oberlippenbart anno 1999, ist er wohl ein strenger Verfechter der haarlosen Linie. Auch die Frisur hat sich kaum geändert