Wolfgang Esser war neun Jahre alt, als ihn sein Vater am frühen Abend des 9. Novembers 1938 an die Hand nahm und von Rellinghausen Richtung Innenstadt lief. „Es war gespenstisch“, erinnert sich der Architekt, „überall kaputte Fensterscheiben und zerschlagenes Geschirr, das unter meinen Schuhsohlen knirschte“. Dazu das furchtbare Gejohle und Grölen der SA-Schergen, die in den Straßen wüteten. Diese schrecklichen Bilder, diese Eindrücke haben sich für immer in sein Gedächtnis eingebrannt. „Als wir dann die Innenstadt erreichten und die brennende Synagoge sahen, sagte mein Vater: Merk’ dir das. Jetzt wird sich alles ändern.“
Wie recht er hatte, macht 75 Jahre nach dieser Nacht der Verwüstung, der Zerstörung und Vertreibung, Hans-Hermann David Byron auf der Gedenkfeier in der Altern Synagoge noch einmal deutlich: Der 9. November 1938 war der unheilvolle Auftakt zum Massenmord an den Juden, so der stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde in seiner Rede. „Es waren nicht nur SA-Truppen, die in der Pogromnacht die deutschen Juden terrorisierten, es waren auch Freunde, Nachbarn und Kollegen, die sich beteiligten.“
Das deckt sich mit den Erinnerungen von Wolfgang Esser, der inzwischen 84 Jahre alt ist und regelmäßig zu den Gedenkfeiern anlässlich der Pogromnacht in die Alte Synagoge kommt. Was ihn besonders beeindruckt ist, dass erstaunlich viele junge Menschen zwischen den Würdenträgern und Politikern der Stadt sitzen. „Das ist gut so. Vergessen darf man nie“, sagt Esser, der Zeit seines Lebens seine Stimme gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus erhob.
Sichtlich berührt hört er den Schülern der Realschule Überruhr zu, die auf der Feier die Geschichte der Familie Löwenstein nacherzählen. Essener Juden, denen nur zum Teil die rettende Flucht ins Ausland gelungen ist. Die Schüler haben nicht nur recherchiert, sondern den Kontakt zu den überlebenden Löwensteins, die in Amerika wohnen, wieder hergestellt.
Ganz anders beteiligt sich die 12. Jahrgangsstufe der Frida-Levy-Gesamtschule an der Gedenkfeier: Zum 100-jährigen Bestehen der Alten Synagoge hat sie eine mehrdimensionale Skulptur geschaffen: In der Mitte eine gespaltene kopflose Figur, die ihre Arme in die Höhe streckt, umringt von drei Tafeln, auf denen die wechselvolle Geschichte des jüdischen Gotteshauses dargestellt wird. Intensiv haben sich die Schüler aller Nationen und Religionen nicht nur mit dem Holocaust, sondern auch mit dem Judentum auseinandergesetzt. „Das ist wichtig. Denn gegen Vorurteile hilft nur Aufklärung“, sagt Esser.