Essen. . Unmittelbar neben der Kreuzeskirche ist durch den Abriss des Parkhauses eine riesige Baugrube entstanden. Wo im Herbst 1960 ein spektakulärer Münzschatz gehoben wurde, graben Archäologen nun nach Spuren aus dem Mittelalter. Bis jetzt haben sie drei Brunnen und eine Sickergrube freigelegt.

Horst Rötzheim (71) steht im strömenden Regen vor der riesigen Baugrube im Schatten der Kreuzeskirche. Den Rentner aus der Kastanienallee fasziniert das Hin- und Hergeschiebe von Raupe und Bagger – und noch mehr das leise Wirken der Archäologen. „Wenn man hier aufgewachsen ist, ist man neugierig auf jede Neuigkeit“, sagt er. Neugierig vor allem auf wertvolle Zeugnisse, die womöglich noch im Erdreich unter dem abgerissenen Parkhaus schlummern.

Die Archäologen, die auf dem fußballfeldgroßen Areal seit August behutsam Schicht für Schicht abtragen, ziehen nüchtern Zwischenbilanz: zwei Mittelalter-Brunnen aus Ruhrsandstein, einen neuzeitlichen Brunnen und eine Sickergrube haben sie freilegen können.

Stadtarchäologe Detlef Hopp verspricht sich viel von dieser Grabung. „Wir betreten in diesem Teil der nördlichen Innenstadt archäologisches Neuland“, sagt er. Was ihn so hoffnungsfroh stimmt, sind verblüffende Funde aus jüngerer Vergangenheit in direkter Nachbarschaft. Jene etwa, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen und auf eine stattliche Glockengießerei nahe dem späteren Krupp’schen Patrizierhaus schließen lassen.

Wenn sich Hopp über altes Kartenwerk beugt, wird das mittelalterliche Essen wieder lebendig: das blühende 5000-Seelen-Landstädtchen, in dem sich wichtige Fernhandelsrouten, der Hellweg und die „Strata Coloniensis“, kreuzen und mächtige Äbtissinnen herrschen. Der Weberplatz ist damals ein Friedhof und die mächtige Stadtmauer mit dem „Heckingsturm“ (heute Turmstraße) nicht weit.

Der Stadtplan von 1822 – kurz vor den dramatischen Verwerfungen des aufziehenden Industriezeitalters – weist das von Kastanienallee, Rott- und I.Weberstraße eingefasste Quartier als dörfliches Idyll aus: als ein „Gewirr von regellos gebauten Häusern, Ställen und Scheunen in verschachtelter Enge“.

Horst Rötzheim, hinter sich das GOP, kennt das Gelände noch, als es jene zugewucherte Brache war, auf die sie 1960 das klotzige Parkhaus setzten. „Die gepflasterte Rottstraße war damals ein Kirmesplatz.“ Gut möglich, dass die Bagger so brachial zu Werke gingen, dass sie just jenes kostbare Erdreich hinwegplanierten, in dem Hopp heute so gerne gebuddelt hätte.

Kurios, aber wahr: Obwohl Archäologen damals nicht am Werke waren, wurde bei den Erdarbeiten im Herbst 1960 ein spektakulärer Münzschatz gehoben: 495 Geldstücke aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert. Darunter Münzen aus allen deutschen Reichslanden sowie aus Frankreich, Polen, Schweden und Holland. Der Münzexperte Heinz Kramer vermutet, dass der Torwächter des nahen und 1865 abgerissenen Heckingsturms den Schatz versteckt hatte: ein Mann namens Friedrich Büllebrinck, der auf der Kastanienallee lebte.

Der Torwächter-Job muss eine lukrative Einnahmequelle gewesen sein, mutmaßt Kramer: „Wer abends nach Schließung der Tore Einlass begehrte, musste sich dies mit einem Trinkgeld erkaufen.“ Offenbar hatte der alte Büllebrinck seinen Schatz so gut versteckt, dass Nachfahren wie auch spätere Hausbesitzer ahnungslos blieben. Der Schatz ruhte im Gemüsegarten im Schutt.

Detlef Hopp, der sich für das Treiben der Handwerker in den mittelalterlichen Innenhöfen interessiert, nennt die drei Brunnen bescheiden „ein schönes Ergebnis“. Demnächst untersuchen sie die Eichenstämme, die die Brunnen umfassen. Die Jahresringe sollen das Alter des Brunnens verraten. „Die Fundstücke“, kündigt Detlef Hopp an, „werden im Januar im Rathaus ausgestellt.“ Danach gehen sie ins Ruhrmuseum. Dorthin, wo schon der Torwächter-Schatz ausgestellt ist.