Rüttenscheid. . Rund 50 Zuhörer lümmelten sich bei der Lesung zum Buch „Helden der Kindheit“ mit Schleckmuscheln und Zucker-Armbändern in die Sofas der Banditenbar – und wurden in eine Zeit zurückversetzt, in der Saber Rider, das A-Team und Colt Seavers Pflicht waren.
Die heroische und extrem eingängige Titelmusik des A-Teams erklingt und plötzlich ist es wieder da: Dieses Gefühl kindlicher Aufregung, diese wertvollen Minuten am Samstagnachmittag neben dem Vater und mit einer Tüte Chips auf dem Schoß vor dem flimmernden Röhrenfernseher verbringen zu dürfen. Oder, wie es Autor Jan Drees treffend formuliert: „Dieser Samstag war ein Sabbat der Moral.“
„Helden der Kindheit“ heißt das Buch, das 50 deutsche Autoren ihren sie prägenden Protagonisten der 1980er und 1990er Jahre gewidmet haben. Für gut zwei Stunden bringen die drei Autoren Kai Splittgerber, die Essenerin Jule Körber und Jan Drees ein Stück längst vergangener Unbekümmertheit zurück in die Bar „Banditen wie wir“. 50 Zuhörer aus der Generation zwischen Walkman und MP3-Player lümmeln sich mit Schleckmuscheln und Zucker-Armbändern dicht gedrängt in die betagten Sofas.
Jan Drees beginnt mit einer Ode auf den aus seiner Sicht völlig zu Unrecht in Vergessenheit geratenen „Schlupp vom Stern“ aus der Augsburger Puppenkiste. „Mein siebenjähriger Sohn lacht sich bis heute darüber kaputt. Nur die Fäden stören ihn ein bisschen. Das kennen die Kinder bei den ganzen Animations-Filmen heute nicht mehr“, so der Autor.
Die Idee entstand am Küchentisch
Jule Körber, die bei dieser Zeitung volontierte, sieht in ihren Helden, den „grenzdebilen Bewohnern“ aus der Welt von „Hallo Spencer“, eine „marxistische
Gesellschaft“: in der eben jeder mit seinen Talenten für die Gemeinschaft da sei. Da huscht ein verzücktes Lächeln über so manches Gesicht der Zuhörer, die in einer Lesepause mit „Matschbrötchen“ – Brötchen mit Schokoküssen – verwöhnt werden.
Saber Rider, Colt Seavers, Jim Knopf, Calvin und Hobbs, Kai aus der Kiste: Irgendwie sind an diesem Abend in der Banditen-Bar alle wieder 20 Jahre jünger. Erinnerungen werden wach an aufgenommene Mix-Tapes, Tage im Freibad mit einem Flutschfinger-Eis in der Hand und grob pixelige Figuren auf dem Heimcomputer C64.
„Der Erich-Kästner-Gedanke, das Kindliche in sich nicht aufzugeben, treibt uns an“, sagt Stephan Phin Spielhoff, der die Lesereise bundesweit für den Verlag „Edition Büchergilde“ organisiert. Essen war die dritte Station, rund 100 weitere zwischen München und Berlin sollen folgen. Die Idee entstand an einem Küchentisch in Hildesheim, wo zahlreiche am Buch beteiligten Autoren studiert haben.
Welcher Gedanke sie alle eint, bringt Spielhoff auf den Punkt: „Ich gebe meine Fantasie nicht auf, nur weil ihr wollt, dass ich eine Steuernummer habe.“