Wer bei den „German Silver Singers“ mitmachen will, muss mindestens 60 sein. Beim Casting im Essener Chorforum konnten die Neuzugänge jetzt Stimme zeigen – und Charakter. Denn in diesem besonderen Chor sind echte Typen gefragt.
Helmut Pühl ist nun wahrlich kein Anfänger im Chorgeschäft. Seit 40 Jahren macht der 65-Jährige Musik. Wenn er bei Totenfeiern das „Ave Maria“ singt, gehen alle Köpfe andächtig zur Empore, und sein Solo beim Weihnachtkonzert des Männerchores 1846 Dortmund-Aplerbeck hat Tradition. Und trotzdem ist Pühl an diesem Nachmittag aufgeregt wie ein Pennäler vor der Musikprüfung. Knetet nervös seine Partitur, die schon ein bisschen bejahrt und angegraut aussieht wie die Chorsänger, die zum Casting ins Chorforum gekommen sind.
Bei Casting, da denkt man heutzutage an gepiercte Teenager, die sich von Dieter Bohlen vor laufender Kamera ihr Ego schreddern lassen. Doch daran ist bei Chorleiter Volker Buchloh natürlich nicht zu denken. Buchloh strahlt wohlwollend, als Pühl sein „Ghostrider“ singt und seinen imposanten Bass-Bariton dazu effektvoll kreischen und hufeklappern lässt, als wäre er hauptamtlich Geräuschemacher einer ganzen Geisterbahn.
Pühls neun Mitbewerber vor der Tür wissen da längst, was die Jury später beschließen wird: „Helmut, du bist dabei!“ Konkurrenz scheint in dieser Altersklasse wie verflogen. „Hier muss sich keiner mehr beweisen“, erklärt Herbert Sperken die Besonderheit dieses einzigartigen Chores. Die „German Silver Singers“ sind älter als Bohlen, manche sogar älter als das Fernsehen. Mindesteintrittsalter ist 60, doch die jungen Hüpfer sind die Ausnahme. Die älteste Sängerin ist 89 und konnte noch mit Brigitte Mira auftreten. Überhaupt können die „Silver Singers“ schon auf große Auftritte verweisen, im Berliner Tempodrom haben sie gesungen und Jauchs Talk im Gasometer begleitet. Gerade haben sie drei Tage für Dreharbeiten mit Mariele Millowitsch vor der Kamera gestanden. Der Film handelt natürlich von einem musikalisch gut gereiften Chor wie den „Silver Singers“. 2009 vom Chorverband NRW ins Leben gerufen, hat die Essener Gruppe heute Vorbildcharakter. Weitere Grauhaar-Groups sollen folgen, sogar der WDR ist an diesem Nachmittag da, um das Casting zu beobachten.
„Wir zeigen mehr unser Inneres“
Rudolf Mitzlaff ist von Anfang an dabei. „Andere Chöre können vielleicht noch besser singen, aber wir können mehr begeistern“, ist sich der Münsteraner Chorsänger sicher. „Wir zeigen mehr unser Inneres“, erklärt sich der 72-Jährige die besondere Note dieses Ensembles, das für die meisten längst mehr ist als ein Zeitvertreib, es ist eine große und meist gut gelaunte Gemeinschaft. „Es gibt sogar schon Chor-Pärchen“, erzählt Mitzlaff augenzwinkernd. Wer zu dieser Gruppe gehöre, der wisse jedenfalls, wie wichtig Musik sein kann, für Kopf und Seele. Singen, bevor irgendwann der Arzt kommt, heißt hier das mitreißende Motto.
Dass es dabei auch gut klingt, ist Voraussetzung. Und deshalb nehmen die „German Silver Singers“ auch nicht jeden, sondern casten ihre Ü-60-Bewerber. Gesucht seien „Typen. Leute, die keine Angst haben, mal eine falsche Bewegung zu machen“, sagt Sperken. Eine wie Dorit Koch scheint da richtig. Die resolute 69-Jährige hat mal in einer Theater-Comedy-Truppe mitgemacht („ich liebe diese Bühnenpräsenz“). Für das Vorsingen hat sie etwas Tragisches und etwas Komisches ausgewählt. Zarah Leanders „Nur nicht aus Liebe weinen“ und den Schlagerfoxtrott „Benjamin, ich hab nichts anzuziehen.“ Am Ende hat sie vor Nervosität zwar eine Strophe unterschlagen, aber den unerschütterlichen Optimismus nicht verloren. „Dat sollte doch wohl klappen.“ Die Jury findet’s auch. Die „Silver Singers“ haben Nachwuchs bekommen.