Die Debatte um die Steuereinnahmen der Stadt verengt sich fast immer auf das gegenwärtig schwache Gewerbesteueraufkommen. Dieses ist, weil abhängig von Unternehmensgewinnen, schwankend und führt aktuell zu den verschärften Haushaltsproblemen. Demgegenüber ist die nächstgroße Steuerquelle der Stadt, nämlich ihr Anteil an der Einkommensteuer ihrer Bürger, vergleichsweise stabil. Er beläuft sich auf rund 200 Millionen Euro im Jahr. Durch die Schlüsselzuweisungen des Landes, die nach der Einwohnerzahl ermittelt werden, kommen für Essen ca. weitere 330 Millionen Euro im Jahr hinzu. Warum also nicht bei diesen vergleichsweise stetigen Einnahmequellen ansetzen, um die Probleme einer Lösung entgegen zu führen? Pro Arbeitstag pendeln 135 000 Berufspendler in unsere Stadt. Das sind durchweg Steuerzahler, deren Anteile an ihrer Einkommensteuer ihren jeweiligen Wohngemeinden zugute kommen. Diesen Menschen sollten wir die Möglichkeit bieten, in unserer Stadt ansässig zu werden. Dazu müsste man allerdings zu einer nach vorne gerichteten Baurechtspolitik bereit sein.
Und was wird aus dieser Chance bei uns gemacht? Ein absurdes Theater um fast jedes neue Baurecht, nicht nur „Grüne Harfe“, „Gummertstraße“ und andere, nein es gibt überhaupt kein politisches Programm zu einem neuen Ansatz für einen umfassenden Wohnungsneubau. Und das, obwohl Essen als drittgrünste Großstadt in Deutschland doch nicht zugebaut ist. Mit der heutigen Politik schädlicher Verschleppung wären vor 100 Jahren die Glanzstücke des Essener Wohnungsbaus wie die Margarethenhöhe und das Moltkeviertel nie zustande gekommen. Damals hatten die Verantwortlichen in der Stadt eine Willkommenskultur gegenüber denjenigen, die bei uns Arbeit gefunden hatten; es war für sie selbstverständlich, ihnen Wohnen in unserer Stadt zu ermöglichen. Heute, so scheint es, wird über Baurechte nach einer „Gesäßgeografie“ entschieden: Wer in der Stadt sitzt, ist gegen neue Baurechte in seiner Nachbarschaft, und wer hier arbeitet, aber nicht Wohnung gefunden hat, kann sehen, wo er bleibt.
Vielleicht erwägen die Verantwortlichen im Rat unserer Stadt, insbesondere auch die, die sich mit berechtigtem Ernst der frühjährlichen, artgerechten Krötenwanderung annehmen, doch einmal, mit dem gleichen Ernst der täglichen berufsbedingten Menschenwanderung Achtsamkeit zu schenken.
Axel Wiesener