Essen. Donnerstagmorgen hatte der aus Leipzig angerollte 75-Tonnen-Kran die verunglückte Lok auf der Strecke der S 6 geborgen. Die Reparaturarbeiten an Gleisen und Oberleitung dauerten trotzdem bis Donnerstag, 16 Uhr, an. 30 DB-Mitarbeiter waren an der Unfallstelle im Einsatz. Wie die Fahrgäste die Streckensperrung erlebten - und wie die Bahn ihnen half.
Trotz eines Nachteinsatzes mit schwerem Gerät und großem Einsatzteam konnte die Deutsche Bahn die S-Bahn-Strecke zwischen Essen-Werden und Essen-Hauptbahnhof am Donnerstag erst um 16 Uhr wieder freigeben. Der in der Nacht zum Mittwoch entgleiste Zug war im Morgengrauen mit Hilfe eines 75 Tonnen schweren Eisenbahnkrans aus Leipzig geborgen worden. Danach arbeiteten 30 Gleisbauer und Techniker mit Hochdruck daran, die Strecke bis zum Feierabendverkehr wieder befahrbar zu machen. Es gelang: Um kurz vor 16 Uhr waren die Gleise repariert und die Oberleitung installiert.
Die verunglückte Lok und ihr schwer beschädigter erster Waggon waren am Morgen gegen 5 Uhr nach Düsseldorf abgeschleppt worden. "Es wird sich zeigen, ob man die Lok noch reparieren kann", sagte Bahnsprecher Pohlmann. Nach seinen Angaben sind auf dem Abschnitt zwischen Essen Hauptbahnhof und Düsseldorf Hauptbahnhof täglich "zwischen 5000 und 6000 Fahrgäste mit der S6 unterwegs".
So sorgte die Streckensperrung am Donnerstagmorgen bei vielen Pendlern für Verdruss. „Ich wusste von dem Unfall, aber dass jetzt immer noch nichts läuft, verstehe ich nicht. Ich fühle mich wie im Mittelalter“, wettert etwa Hardy Heise, der am Donnerstag um acht Uhr morgens am Bahnhof Süd gelandet ist und von hier nicht weiter kommt. Auch die Straßenbahn, mit der er zum Hauptbahnhof kommen könnte, sei verspätet, die Haltestelle für den Busnotverkehr habe er nicht gefunden. „Am Mittwoch haben uns noch Taxis von hier zum Bahnhof gebracht, von da konnte ich mit dem Zug nach Düsseldorf fahren. Heute werde ich zu spät kommen – das soll die Bahn mal meinem Arbeitgeber erklären.“
Arbeiter: „Leipzig hatte Bereitschaft, Wanne-Eickel nicht.“
Natürlich spricht die Bahn nicht mit Chefs und schreibt auch keine Entschuldigungen, sie betreibt aber großen Aufwand, um die Fahrgäste zu informieren. Am Bahnhof Süd etwa flimmert eine Anzeige, die auf die Sperrung der Strecke aufmerksam macht, daneben gibt es regelmäßige Ansagen, stets endend mit der Formel: „Wir bitten um Entschuldigung!“
Reparatur der Bahnstrecke
Außerdem hat ein Kollege von 19 Uhr am Mittwoch bis 8 Uhr früh am Donnerstag gestanden, um die Fahrgäste über die Sperrung der Strecke zu informieren. Seine Ablösung kümmert sich nun um Hardy Heise: „Da oben rechts hält der Notbus – und aufgepasst, das ist kein Linienbus, sondern ein Reisebus.“ Neun Busse steuern im Auftrag der Bahn seit dem Zugunfall die Haltestellen von Süd bis Kettwig an. "Wir versuchen, den Takt der S6 zu halten", sagte Bahnsprecher Pohlmann. Die Bushaltestelle am Bahnhof Süd aber ist nicht leicht zu finden, und allzu oft hält der Bus auch nicht, so dass viele Fahrgäste fluchend im Umfeld des S-Bahnhofs unterwegs sind.
Dennoch: "Reisenden-Lenker", wie die Bahn ihre menschlichen Notfall-Wegweiser offiziell nennt, hat das Unternehmen an allen fünf Stationen zwischen Hauptbahnhof und Kettwig postiert.
Am S-Bahnhof Werden laufen zu diesem Zeitpunkt die Arbeiten am Gleisbett noch auf Hochtouren. Mitten in der Nacht ist der 75 Tonnen schwere Kran aus Leipzig eingetroffen, um halb vier war sein Einsatz beendet. Dass der Spezialkran nicht aus Wanne-Eickel kam, wo ebenfalls ein solches Gerät stationiert ist, erklärt einer der beteiligten Arbeiter mit dem Dienstplan: „Leipzig hatte Bereitschaft, Wanne-Eickel nicht.“
20-Stunden-Schichten für Gleisbauer und Techniker
Nach der Bergung der Züge mussten Oberleitungen, Schienen und Gleisbett überprüft werden. Verbogene Schienen wurden anschließend gerichtet, gegen halb zehn traf am Morgen dann die Stopfmaschine ein, mit der der Schotter im Gleisbett verdichtet werden soll. „Wir halten uns ran, wir wollen ja, dass es schnell weitergeht“, ruft einer der Arbeiter. Wenn der Gleisanlage mit Schotter stabilisiert wurde, müssen sie auch die Oberleitung neu installieren und spannen. Das dauert eben.
Auf viel Verständnis durften die Bahnmitarbeiter, die zum Teil 20-Stunden-Schichten leisteten, dennoch nicht hoffen, denn für die Berufspendler zählt nur, dass sie am Morgen mit Umwegen und Verspätungen zu kämpfen haben.
Recht gelassen reagiert dagegen Diana Neuhaus, die mit der Klasse 2b aus der Grundschule Am Wasserturm im Südostviertel einen Ausflug in den Heissi-Wald machen wollte. „Die Kinder hatten sich sehr gefreut, einmal S-Bahn zu fahren, das kennen viele unserer Schüler gar nicht.“ Doch um halb sechs hörte die Lehrerin im Radio, dass die S-Bahn noch immer nicht fährt. Sie sagte den Ausflug trotzdem nicht ab, fand am Hauptbahnhof einen der Ersatzbusse und enterte ihn mit der Klasse. „Eine Stunde hat das gedauert“, stöhnt einer der Schüler. Zumindest eine gefühlte Stunden. Und nun sitzen die Jungen und MädchenWie sie w im leergefegten S-Bahnhof Werden auf den Treppenstufen, verspeisen ihre Butterbrote und stärken sich für den Aufstieg in den Heissi-Wald. Das erste Abenteuer an diesem Tag haben sie schon hinter sich.