Essen. Lichtburg-Retterin  Marianne  Menze  und  der  scheidende  Cinemaxx-Chef  Meinolf  Thies sprechen im Interview mit der WAZ über  ihr Wirken  für  Essens  Kinolandschaft. Menze wird am 18. Oktober 85 Jahre alt, er verabschiedet sich Ende des Monats als Leiter des Cinemaxx, das er als junger Mann in Essen 1991 mit aufbaute.

Sie leitet die Lichtburg, für deren Rettung sie gekämpft hat und die am 18. Oktober 85 Jahre alt wird, er verabschiedet sich Ende des Monats als Leiter des Cinemaxx, das er als junger Mann in Essen 1991 mit aufbaute. Ein Gespräch mit Marianne Menze (64) und Meinolf Thies (49) über Filmkunst und Popcorn-Kino, Ereignisse auf der Leinwand und im Zuschauerraum.

Frau Menze, Herr Thies, erinnern Sie sich an den ersten Film, den Sie gesehen haben?

Menze: Meine Mutter war ständig im Kino, als sie mit mir schwanger war, aber den ersten Film habe ich mit fünf gesehen. Es war „Susi und Strolch“ oder „Bambi“, vermutlich im Union-Theater in Bochum.
Thies: Bei mir war es die Schauburg in Gelsenkirchen und „Frankenstein Junior“.

Ein härterer Start als Bambi..

Thies: ...das war weniger schlimm als es klingt. Eher Klamauk als Horror – und ich war schon 10 oder 12. Ich bin mit einem Freund hingegangen, in der Woche, das Kino war leer.

Waren Sie mit 10 nicht ein ziemlicher Spätstarter, Herr Thies?

Thies: Meinen Sie! Ich habe neulich eine Studie gelesen, nach der heutzutage jeder vierte Zehnjährige noch nie im Kino war.
Menze: Das finde ich traurig! Du hättest auch früher gehen sollen.
Thies: Meine Familie hatte nicht die Kinoleidenschaft wie Deine Mutter. Mein Vater guckt bis heute einen Film im Jahr, einen Erfolg wie „Ziemlich beste Freunde“; der ist kein Cineast. Ich war ein Draußen-Kind, eher Fußball als Fischertechnik…
Menze: Ich habe meine Kindheit in Bochum-Ehrenfeld im Kino verbracht! Ich hab’ mich sonntags früher aus der katholischen Messe gestohlen, um rechtzeitig zum Kinderkino um elf zu kommen. Ich habe alles geguckt, was flimmert; besonders alles von Disney! Erst in der Pubertät habe ich angefangen, ausgewählter zu gucken.

Marianne Menze vor dem Filmstudio Glückauf.
Marianne Menze vor dem Filmstudio Glückauf. © WAZ FotoPool

Trotz dieser Leidenschaft haben Sie einen anderen Beruf ergriffen…

Menze: Ich komme aus einem reinen Geschäftshaushalt, schon meine Großmutter war Geschäftsfrau, die Gene habe ich also. Trotzdem bin ich erstmal Sportlehrerin geworden und habe 20 Jahre an einer Schule in Wattenscheid unterrichtet. Film-bekloppt war ich aber schon damals, und so wollte ich mir eines Tages in der Galerie Cinema in Rüttenscheid „2001 Odyssee im Weltraum“ ansehen. Als ich kam, lief die Ouvertüre schon und ich musste mich setzen, weil man ja beim Eintreten gleich mitten in dem winzigen Kino stand. Ich hab’ dann in der Pause bezahlt, beim Betreiber des Kinos, Hanns-Peter Hüster…

Mit dem Sie heute verheiratet sind, hier die Filmkunsttheater aufgebaut und die Lichtburg gerettet haben…

Menze: An dem Abend sind wir nur einen Rotwein trinken gegangen, aber man kann schon sagen, dass es eine schicksalhafte Begegnung war.

Marianne Menze: vom Klassenzimmer ins Kino

Sie stammt aus Bochum und war 20 Jahre Lehrerin, bevor sie ihre Kino-Leidenschaft zum Beruf machte. Mit ihrem Mann Hanns-Peter Hüster hat Marianne Menze die Filmkunst-Theater aufgebaut (Galerie Cinema, Eulenspiegel, Filmstudio, Astra und Lichtburg in Essen sowie Rio in Mülheim).

Das Bundesverdienstkreuz am Bande wurde Hüster und Menze (64) dieses Jahr für ihre Verdienste um die Filmkunst verliehen.

Sie beide haben sich für Kunst und gegen Kommerz entschieden.

Menze: Peter Hüster und ich machen das schon ein Leben lang: klassische Kinos zu erhalten – und es klappt. Aber klar: Es ist eigentlich völlig unwirtschaftlich, vier, fünf Häuser zu betreiben, statt alle unter ein Dach zu packen. . .
Thies: Beim Cinemaxx, das von einer Aktiengesellschaft betrieben wird, geht es erstmal um Gewinnerzielung. Ich bin auch eher der Triebige, der Macher und als gelernter Banker ein Zahlenmensch. Das unterscheidet Marianne und mich wohl auch als Menschen. Beim Cinemaxx war ich mit 27 Jahren Chef von 150 Leuten – wo sonst bekommt man in dem Alter eine solche Verantwortung? Sie haben das Programm nicht ausgesucht, Sie können nichts für die Filme – aber für alles andere! Von der Gastro bis zu den Toiletten.

Und dann passieren Dinge, auf die sich niemand vorbereiten kann: Ich erinnere mich an das Mädchen, das mit seiner Großmutter „Lauras Stern“ guckte, und am Ende des Films stand die Oma nicht mehr auf! Dieser Tod war nicht nur für das Kind ein Schock!

Künftigen Mitarbeitern erzähle ich von Kärrnerarbeit bis 2 Uhr nachts – nicht von Hollywood.

Frau Menze, empfanden Sie es eigentlich als eine Kampfansage, als das Cinemaxx 1991 eröffnete?

Menze: Das bundesweit größte Multiplex – das hat uns Dampf gemacht. Viele Kinos, die es damals in Essen gab, existieren heute nicht mehr…
Thies: Das waren aber oft schlimme Schachtelkinos. Als das Kino in die Krise geraten war, hatten viele Betreiber die großen Säle zerteilt…
Menze: …und nichts mehr in ihre Häuser investiert, was wir jedoch taten. Wir sagten: Wenn wir untergehen, dann mit Glanz und Gloria! Wir hatten damals Eulenspiegel, Galeria und Filmstudio, die sich aufgrund ihrer Individualität jedem Vergleich mit dem Multiplex entzogen.
Thies: Während Ihr Euch Sorgen machtet, hörte ich auf der Baustelle am Berliner Platz die Handwerker poltern: „Bekloppt, was die da hinsetzen!“ Ein Jahr später sah ich die Schlangen vor unserem Parkhaus...

Das Cinemaxx zog seither im Jahresschnitt eine Million Gäste, wie haben die Filmkunst-Theater überlebt?

Menze: Wir zeigten damals keine Mainstreamfilme, sondern machten unser Ding. Nach ein, zwei Wochen kam unser Stammpublikum zurück. Die hatten ihre Neugier befriedigt.

In der Lichtburg, die 1200 Plätze hat, zeigen Sie heute auch Mainstream.

Menze: Da beginnt die Wirtschaftlichkeit!

Herr Thies, betrübt es Sie, dass die Lichtburg trotzdem als Baudenkmal und Premierenkino so viel mehr Aufmerksamkeit bekommt?

Thies: Ich fühle mich nicht zurückgesetzt, aber muss sogar Atze Schröder seine Filmpremiere in der Lichtburg feiern? Es wäre schön, wenn einmal anerkannt würde, dass auch unser Kino ein Wirtschaftsfaktor für Essen ist, dass auch wir dafür sorgen, dass nachts die Straßen belebt sind.

Grundsätzlich hilft die Berühmtheit der Lichtburg der ganzen Stadt: Die Filmagenten hätten sonst nur Berlin, Hamburg, München und vielleicht Köln auf ihrer Landkarte.
Menze: Wenn die Leute sehen, wie großartig das Ruhrgebiets-Publikum Schauspieler feiert, wie schön die Lichtburg ist, kommen sie wieder.

Marianne Menze mag La Dolce Vita, Meinolf Thies steht auf Nackte Kanone 

Frau Menze, Herr Thies, wie viele Filme sehen Sie wohl im Jahr?

Menze: Auf der Berlinale oder der Kölner Filmmesse sehe ich vier bis sechs Filme am Tag. Da ist mal einer dabei, auf den man scharf ist, der Rest ist Pflichtprogramm. Vor 15 Jahren habe ich noch 95 Prozent unseres Programms gesehen, heute sind es vielleicht noch 60 Prozent. Es kommen ja Tausende Titel im Jahr raus – ich sehe vielleicht 200 davon.
Thies: Immerhin: Der Deutsche sieht im Schnitt 1,6 Filme pro Jahr. Auch ich als berufsbedingter Kinogänger sehe weniger als Marianne Menze – und die wenigsten im eigenen Kino: Da stellt man ja schon beim Reingehen fest, dass das Geländer gestrichen werden muss oder kontrolliert die Notbeleuchtung...
Menze: Im eigenen Kino kann man einen Film nicht entspannt gucken.

Thies: . . .und bei anderen läuft es fast unter Konkurrenzbeobachtung. Aber ich kann Filme noch genießen.
Menze: Ich habe immer das Problem, wenn ein Film mit einer netten Geschichte hochgejubelt wurde und ich sehe ihn dann schließlich und denke: „Das ist doch bloß eine Fernsehproduktion.“

Gehen Sie dann raus?

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Menze: Ich gehe ungern aus dem Kino.

Thies: Man hofft immer noch! Ich war mal einer Frau zuliebe in Kill Bill von Tarantino. Das waren zwei Stunden verschenkte Lebenszeit.
Menze: Ich sehe Filme generell lieber allein und spreche danach darüber. Nach einer Woche Berlinale bin ich völlig übersättigt – nach ein paar Wochen kommt wieder der Hunger. Thies: Heute fehlt vielen dieser Hunger; ich bekomme Bewerbungen, in denen kein Wort über Filme steht.
Menze: Schrecklich! Wie will man denn im Kino arbeiten, wenn man nicht mal einen Lieblingsfilm hat!

Haben Sie einen?

Menze: Ich würde es so formulieren: Weites Land, Der Sturm, Husbands, Tanz der Vampire, La Dolce Vita, Weekend, Laurence von Arabien, Orfeo Negro - die sind Filmgeschichte. Harold and Maude ist zeitlos gut, aktuell gefällt mir Grande Bellezza.

Thies: Ich breche mal eine Lanze für den Kommerz: Blues Brothers ist Kult, als Schalke-Fan mag ich Fußball ist unser Leben, Fast & Furios gewinnt in der Kategorie Gehirn abgeben und Spaß haben, die Nackte Kanone-Trilogie als Komödie und als bester Thriller: Das Schweigen der Lämmer! Und auch weil ihr Riesenerfolg so unerwartet war, mag ich Titanic und Ziemlich beste Freunde.

Gehen Sie mal ins Cinemaxx, Frau Menze?

Menze: Ich habe keinen Anlass dafür. Dazu müsste da ein Film laufen, den ich bei uns nicht sehen kann. Aber: Jedes Kino ist ein magischer Raum, wenn es nicht ein Schrotthaufen ist, und das Cinemaxx ist ein Multiplex mit Stil und Charakter.

Wie stilvoll sind Popcorn-Eimer?

Thies: Ich trinke nicht oft 1,5 Liter Cola und esse dazu Popcorn – aber ich kann das verkaufen. Übrigens tut mir weh, wenn ich sehe, dass die Zuschauer ins Eulenspiegel ihre eigenen Vorräte mitnehmen, auch Arthouse-Kinos brauchen die Einnahmen der Süßwaren-Theke.

Sie besuchen das Eulenspiegel?

Thies: Ich bin vermutlich öfter dort als Marianne Menze.