Alle haben sie darüber berichtet, der Spiegel, die Süddeutsche Zeitung. . . Denn nirgendwo war der Ausgang der Bundestagswahl so knapp wie im Wahlkreis 120 im Essener Süd-Westen. Der Stadt bescherte dies bundesweite Aufmerksamkeit und der Pressestelle im Rathaus jede Menge Arbeit.
Möglicherweise meldet sich dort heute auch die Redaktion von „Pleiten, Pech und Pannen“, denn Oberbürgermeister Reinhard Paß wird dem Wahlkreisausschuss am Vormittag empfehlen, alle 149 407 im Wahlkreis abgegebenen Stimmen noch einmal auszuzählen. So etwas hat es bei einer Wahl in dieser Stadt noch nicht gegeben. Ja, der Wahlkreis 120 bringt alles mit für einen Eintrag im Geschichtsbuch. Denn längst ist auch der Bundeswahlleiter auf die Vorgänge rund um den Wahltag aufmerksam geworden.
Die Begründung für eine erneute Auszählung lieferte das Presseamt in einer dünnen Erklärung mit: Das Wahlamt habe alle Wahlniederschriften der Wahlvorstände überprüft und bei einigen „keine Plausibilität“ festgestellt. Was den Prüfern da so alles unplausibel erschien, bleibt offen. Nach Informationen der WAZ sah das Wahlamt immerhin Anlass genug, um schon einmal in 23 der 190 Stimmbezirke nachzuzählen. Das wäre eine beachtliche Fehlerquote von über zehn Prozent. Für die Wahlaufseher kommt es aber noch dicker: Das vorläufige Ergebnis stellt den Wahlausgang völlig auf den Kopf: Plötzlich liegt Petra Hinz (SPD) mit 31 Stimmen vor ihrem Mitbewerber Matthias Hauer (CDU). Der 35-Jährige hatte das Rennen um den Direkteinzug ins Parlament am Sonntag mit dem hauchdünnen Vorsprung von nur drei Stimmen eigentlich für sich entschieden und den Sieg am Abend mit seinen Wahlhelfern in einer Rüttenscheider Kneipe ausgiebig gefeiert. Auf die unerwartete Wendung der Dinge reagierte Hauer gestern nicht gerade enthusiastisch, was nachvollziehbar ist. Er wolle erst einmal wissen, was genau da schief gelaufen sein soll. „Wenn es massive Unregelmäßigkeiten gegeben hat und sichergestellt ist, dass es in der Zwischenzeit keine Manipulationen gegeben hat, habe ich nichts dagegen“, sagte Hauer zum Vorschlag des Oberbürgermeister, noch einmal zu zählen. Petra Hinz sagte, Fehler seien menschlich. Sie Wünsche sich Klarheit. „Das kann in die eine oder andere Richtung gehen.“ Tröstlich für beide: Auch der Verlierer zieht über die Landesliste in den Bundestag ein.
Stimmt der Wahlkreisausschuss dem Vorschlag des Oberbürgermeisters zu, wovon auszugehen ist, dürfte es „ein paar Tage dauern“, bis gezählt wird, so Stadtsprecherin Nicole Mause. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Wahl ein weiteres Nachspiel erfährt. Die Panne im Wahllokal in der Adelkampschule hat den Bundeswahlleiter zu einer Prüfung veranlasst. Wie berichtet, hatte die Vorsitzende des Wahlvorstandes das Stimmlokal fast 30 Minuten später geöffnet. Der Landeswahlleiter habe dies bestätigt. „Theoretisch“, so hieß es gestern aus dem Büro des Bundeswahlleiter, „wäre eine Wahlwiederholung möglich“.