Essen.. Ein Geruch von Korruption oder doch nur ganz kleines Karo? Mit einem Katalog von Vorwürfen versucht Miteigentümer Remondis den Chef der Entsorgungsbetriebe aus dem Amt zu fegen. Die Aufsichtsräte erhielten ein detailliertes Schreiben, das zahlreiche „Pflichtverletzungen“ belegen soll.
Wer durfte Jennifer Lopez auf EBE-Kosten beim Popowackeln in der Arena Oberhausen zuschauen? Warum finanzieren die Entsorgungsbetriebe dem Betriebsratschef gleich ein Dutzend Mal Fußball-Live-Erlebnisse bis hinauf zur Champions League? Kann Geschäftsführer Klaus Kunze bei 221.000 Euro Jahresgehalt seinen Gesundheits-Check nicht mal aus eigener Tasche finanzieren? Und wie anrüchig ist die freihändige Vergabe eines gut dotierten Beratervertrags an den SPD-Ratsherrn Harald Hoppensack?
Vier Monate ist es jetzt her, dass das private Entsorgungsunternehmen Remondis – zu 49 Prozent an den Essener Entsorgungsbetrieben beteiligt – mit einem halben Dutzend Wirtschaftsprüfern und Rechtsanwälten die Büros und die EBE-Aktenschränke durchforstet hat. Am Ende stehen mehr Fragen als Antworten, und die aufgeführten sind da erst der Anfang.
Anrüchiges Material
Was man in den Ordnern wirklich suchte, soll einer der Remondis-Treuen einst eher beiläufig am Rande eines Beieinanders an anderer Stelle preisgegeben haben: Gefragt war, so erinnert sich gegenüber der NRZ ein Zeuge, der nicht genannt werden möchte, anrüchiges Material, um Geschäftsführer Klaus Kunze aus dem Amt zu fegen. Denn mit dem 69-Jährigen mag das Entsorgungsunternehmen aus Lünen offenbar keinen Tag über Silvester 2013, wenn sein bisheriger Vertrag ausläuft, zusammenarbeiten.
Darum haben sie gesucht. Und gefunden.
Das behauptet Mitgesellschafter Remondis jedenfalls in zwei Schreiben, mit denen man dieser Tage eine außerordentliche Sitzung des EBE-Aufsichtsrates und der -Gesellschafterversammlung beantragt hat.
Ziel der Entsorgungspartner: Kunze soll als Geschäftsführer abberufen werden, weil er sich in unzumutbarer Weise Pflichtverletzungen habe zuschulde kommen lassen. Und dabei geht es nicht nur um den freihändig vergebenen Beratervertrag an SPD-Ratsherr Hoppensack, nicht nur um die vermeintlich „verbotene Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern“ durch mehr Geld und einen auch privat nutzbaren Dienstwagen (die NRZ berichtete).
Unten im Geschenke-Keller
Nein, bei der Suche nach mutmaßlich kompromittierendem Material stiegen die Remondis-Prüfer bis hinab in den Geschenke-Keller der Entsorgungsbetriebe und listeten in einem Konvolut von Beispielen und mit langen Namenslisten genüsslich auf, wer da wie von Zuwendungen profitiert haben soll.
Zudem hat sich Remondis die Mühe gemacht, die Verfehlungen und Pflichtverletzungen mit allerlei Hinweisen auf Bundesgerichtshof-Urteile, juristische Kommentare und Oberlandesgerichts-Entscheidungen zu unterfütterten.
Längst nicht nur zwischen den Zeilen erweckt man den Eindruck, dass auch „persönliche Vorlieben des Geschäftsführers Kunze“ Beweggrund für spendablen Umgang etwa mit Tickets aller Art war – so, wenn ein gewisser„Carlos“ aus dem italienischen City-Restaurant „La Grappa“ mit einem Fußballspiel-Eintritt bedacht wird, denn dort, so schreiben die Remondis-Chefs, sei Kunze schließlich „häufiger Gast“.
Einberufung einer Sondersitzung
Ist das nun ein Hauch von Korruption oder gar mehr oder doch nur ganz kleines Karo? Oberbürgermeister Reinhard Paß reagierte mit der Einberufung einer Sondersitzung des Aufsichtsrates: Der soll am 27. September eine unabhängige Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft damit beauftragen, den Wust an Vorwürfen, großen wie kleinen, auf seine Stichhaltigkeit zu überprüfen. Denn Aufklärung, das wollen sie alle: „Unverzüglich und rückhaltlos“, wie CDU-Fraktionschef Thomas Kufen formulierte, und „objektiv und sachlich“, wie SPD-Fraktionschef Rainer Marschan ergänzte.
Denn im Streit zwischen der Stadt, die 51 Prozent der EBE-Anteile hält, und Remondis mit seinen 49 Prozent, scheint das Tischtuch zerschnitten. „Remondis treibt Spielchen auf Kosten der Entsorgungsbetriebe“, ließ sich etwa die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vernehmen: „Geschätzte Zahlen, kleinkrämerische Vorwürfe und die Jagd nach dem großen Skandal haben nach der Vorgeschichte eigentlich alle erwartet“, sagt Verdi-Geschäftsführer Lothar Grüll, aber in dem Papier von Remondis finde sich letztlich doch nur „der verzweifelte Versuch, den Geschäftsführer der EBE und den Betriebsrat zu beschädigen.“
Vorverurteilung nicht hinnehmen
Selbst die städtische Verkehrs- und Versorgungs-Holding EVV, die formell den städtischen 51 %-Anteil an den Entsorgungsbetrieben hält, nahm keine sonderliche Rücksicht darauf, den privaten Partner mit Samthandschuhen anzufassen. Über Wochen habe Remondis „mit erheblichem Aufwand unspezifisch nach Geschäftsvorfällen gesucht. Diese wurden jetzt – offensichtlich zur Unterstützung der wirtschaftlichen Interessen – entsprechend aufbereitet und eingesetzt“, heißt es in einer offiziellen Stellungnahme der vom ehemaligen Stadtdirektor und Noch-Stadtwerke-Chef Bernhard Görgens geleiteten EVV.
„Es handelt sich hier um sehr schwerwiegende Vorwürfe gegen Herrn Kunze, die ganz offensichtlich mit einer klaren Strategie verbunden sind“, ließ EVV- und Stadtwerke-Sprecher Dirk Pomplun verlauten. „Dass seitens des privaten Partners in aller Öffentlichkeit eine Vorverurteilung des Geschäftsführers Klaus Kunze vorgenommen wird, wird die EVV nicht hinnehmen.“
Und auch im Unternehmen regt sich Protest, wird die aktuelle Praxis verteidigt.
Tickets, Tanzshows, teure Check-ups
Einen ganzen Katalog vermeintlicher Pflichtverletzungen Kunzes führt Remondis auf. Als da wären...
Kicken statt kehren: Die Entsorgungsbetriebe finanzieren 14 Dauerkarten für die Bundesligaspiele von Borussia Dortmund und zehn für die von Schalke. 13 Tickets und damit die meisten bekam demnach Heiner Fink zugesteckt, ein Versicherungsvermittler der Allianz und langjähriger Geschäftspartner. Mit immerhin 12 Karten ist Betriebsrats-Chef Thomas Altenbeck dabei, 9 bekam Prokurist Rolf Friesewinkel, 9 Mal ging Kunze selbst in Stadion, 7 Mal der SPD-Fraktionsgeschäftsführer und Aufsichtsrat Roman Brüx. Auch der Büroleiter des OB Uwe Gummersbach, Bürgermeister Rudi Jelinek, die eine oder andere Sekretärin und „Carlos“ vom La Grappa wurden bedacht.
Bei der EBE verteidigt man die Regelung: Zahlreiche Mitarbeiter profitierten von den Tickets, man bedenke damit Mitarbeiter zu Festen oder bei Jubiläen, und der Betriebsratschef habe seine Karten zudem zum Teil weitergereicht.
Tickets für Udo Jürgens und JLo
Musik statt Müll: Auf EBE-Kosten wurden Tickets für Udo Jürgens und die Show Lord Of The Dance“, für Jennifer Lopez oder einen Big Band-Auftritt finanziert, dazu Saison-Tickets für die Weiße Flotte, Ruhrtal- oder Fünf-Schleusen-Fahrten.
Nach NRZ-Informationen aus dem Unternehmen werden solche Präsente ebenfalls für Firmenjubiläen ausgereicht oder bei Tombolas als Preise ausgelobt.
Partei statt Pappe: Unter den Empfängern von Sachspenden befinden sich auch zwei SPD-Ortsvereine – für Remondis eine verbotene Parteispende.
Aus dem Unternehmen heißt es, dabei habe es sich ebenfalls nur um Tombola-Geschenke und ähnliches Werbematerial gehandelt.
Lebenslänglich für Kunze
Lebenslänglich für Kunze: In einer Zusatzvereinbarung zu seinem Geschäftsführer-Vertrag von Juni 2010 ließ sich Klaus Kunze einen geleasten Dienstwagen und ein Handy ohne zeitliche Befristung zusagen. Kunze verzichtete später auf diese Zusage. Remondis bemängelt, dass Kunze die Abmachung am Aufsichtsrat vorbei einstielte.
BodyGuard für den Chef: Kunze soll eine vorbeugende Gesundheitsuntersuchung über die Entsorgungsbetriebe abgerechnet haben, obwohl der entsprechende Rahmenvertrag mit der Firma BodyGuard GmbH nicht für ihn als Geschäftsführer gilt. Die Kosten von 1.900 Euro hätte er sich nicht selbst bewilligen dürfen, klagt Remondis, das sei ein „Griff in die Gesellschaftskasse“, der nach Rechtsprechung und Literatur sogar eine sofortige Abberufung begründen könne.
Mehr Geld für Betriebsräte: Kunze führte auch bei der EBE eine Art Benachteiligungsverbot für die Betriebsräte ein, so wie es sie bei der Stadt für Personalräte gibt. Denen werden automatische Gehaltserhöhungen zugestanden, weil die Arbeitnehmervertretung ihre potenzielle Karriere ausbremst. Der Dienstwagen für die Betriebsräte, heißt es, sei letztlich preiswerter gewesen, als pauschale Zahlungen.
Nach NRZ-Informationen hat EBE-Chef Klaus Kunze bereits einen Rechtsanwalt beauftragt, in dem sich anbahnenden Rechtsstreit seine Interessen zu vertreten.