Essen. . Julia Meier wollte nach dem Abi „irgendwas mit Mode“ machen und entschied sich (erstmal) für das selten gewordene Handwerk – bei dem Geduld, Genauigkeit und Genügsamkeit gefragt sind.
Sein Hobby zum Beruf machen, davon träumt ja jeder irgendwie. Gut, die meisten können kaum davon leben oder müssen zumindest erst einmal mehr investieren als kassieren. Auch bei Julia Meier ist das so, aber sie könnte sich wenigstens immer ihre Klamotten selbst nähen – als angehende Schneiderin im „Atelier A hoch 2“, eine der wenigen Schneiderbetriebe in der Umgebung, die überhaupt noch ausbilden – und außerdem originalgetreue Lieblingsstücke von Herzogin Kate und US-Präsident Barack Obama anfertigen können.
Neuer Name, alte Tradition
Mal eben die neue Hose kürzen, das Brautkleid auf Taille nähen oder einen Maßanzug fertigen lassen? Das ist unter Umständen nicht nur kostspieliger als die Mode von der Stange, sondern gestaltet sich vor allem aus anderen Gründen schwieriger als angenommen: Es scheint nämlich, als müsse man durchaus Glück und Geduld haben, überhaupt noch eine Maß- oder Änderungsschneiderei ausfindig zu machen. „Nein, tut mir leid wir mussten leider schließen“, „Den Laden gibt es schon lange nicht mehr“, heißt es da oft am Ende der Leitung.
Und auch wer das traditionsreiche „Maßatelier Ortkemper“ sucht, das sich in den frühen 60er Jahren an der Moltkestraße im Südviertel ansiedelte, sucht vergebens. Allerdings nicht, weil es schließen musste, sondern weil es dort seit November 2011 unter dem Namen „Atelier A hoch 2“ zu finden ist – umbenannt von und nach Amélie Bonnet und Alexander Gribkov, die das Geschäft der Ortkempers vor knapp 2 Jahren übernommen haben. „Drei Tage nach der Neueröffnung rief Julia an“, erinnert sich Inhaberin Bonnet, „und fragte, ob wir ausbilden.“
Das habe sie ihr damals auf Anhieb gar nicht sagen können – da beide zwar aus dem Kaufmännischen Bereich, nicht aber aus dem Schneider-Handwerk kommen. Da sie aber nicht nur das meiste Inventar, sondern auch eine IHK-geprüfte Schneiderin mit über 30 Jahren Berufserfahrung übernommen hatte, war das kein Problem. Endlich konnte Julia Meier an die Nähmaschine -- zunächst als Praktikantin, dann als Auszubildende. „Ich hatte viele Ideen, aber kaum Werkzeug“, erzählt die 21-Jährige, die immer schon „irgendwas mit Mode“ machen wollte. Mit 14 hat sie angefangen, eigene Taschen und Röcke zu kreieren, „die waren nicht unbedingt schön, aber ich war stolz“, erinnert sich Meier.
Aufs Handwerkliche fixiert
Schön ist - besonders in der Modebranche - ja eher Ansichtssache. Und bis auf Situationen, in denen man Frauen in Kleidergröße 54 vom rosa Rüschenkleid abraten muss, ist die Ausbildung vorwiegend aufs Handwerkliche fixiert: Schnitttechnik und Produktplanung stehen neben Mathe, Deutsch und Politik auf dem Stundenplan der Düsseldorfer Berufsschule, die Meier zwei Mal wöchentlich besucht. Eine schulische Schneider-Ausbildung ist übrigens Standard, die betriebliche eher die Ausnahme – die meisten wollen eben in die Mode-Branche, Designer werden. „Das wäre auch mein Traum, irgendwann für die großen Häuser zu arbeiten, sagt die 21-Jährige, „aber hier nähen wir für die Frau von nebenan.“
Für die ist Maßkleidung ein Prestige-Objekt: Teuer aber einzigartig-- und unter fairen Bedingungen produziert. Da kostet ein Rock schon mal 200 Euro, ohne Stoff, den kann man auch selbst mitbringen. Der Stoff aber, aus dem der Wintermantel von Herzogin Kate ist oder der, aus dem Barack Obama seine Anzüge fertigen lässt, den bekommt man allerdings nur hier. Kunden können dann einen der „Schlupf-Anzüge“ probieren, um die Größe zu testen, Knöpfe, Garn und Futter selbst auswählen. So einen „Anzug fürs Leben“ gibts dann ab 1.100 Euro. Bis Meier ihre eigenen Kreationen näht, wird es noch dauern. Doch für den Beruf brauche man ohnehin viel Geduld. Und weil sie berufsbedingt genau hinschauen muss, hat ihr die Lehre schon die Lust am Shoppen verdorben.
49 Schneider in Essen
Das Schneiderei-Handwerk zählt zu den ältesten aller Berufe, man unterscheidet heutzutage zwischen „Maßschneider“ und „Modenäher“
Beide Ausbildungen können schulisch oder betrieblich sein.
Die Ausbildung zum Modenäher dauert 2 Jahre und wird in der Industrie und im Textilhandel angeboten. Modenäher arbeiten vor allem in den Produktionsbereichen Zuschnitt, Näherei, Bügelei und Warenkontrolle.
Maßschneider werden in drei Jahren ausgebildet und arbeiten hauptsächlich in handwerklichen Maß- und Änderungsschneidereien, Kostümabteilungen von Theatern, Filmstudios oder Fernsehanstalten. Dort fertigen sie individuelle Kleidungsstücke nach eigenen Entwürfen oder den Wünschen ihrer Kunden in Maßarbeit an.
Die Handwerkskammer in Essen zählt aktuell 49 Betriebe, darunter Maßkonfektionäre wie Änderungsschneidereien.