„Früher lagen nicht so viele schwer pflegebedürftige Patienten auf der Station“, sagt Petra Lindau. Damals, das ist 32 Jahre her. Die Verweildauer in Krankenhäusern hat deutlich abgenommen, dafür sind immer mehr Patienten auf viele Handreichungen angewiesen und die Zahl der genesenden, weitgehend selbstständigen Patienten ist rückläufig. Das erleichtert den Pflegeberuf nicht. Die WAZ hat im Krupp-Krankenhaus eine Schicht begleitet - und den von Bürokratie bestimmten Alltag der Pflegekräfte kennengelernt.
6 Uhr morgens, die Frühschicht übernimmt vom Nachtdienst. Petra Lindau, die von der Krankenschwester zur Stationsleitung am Rüttenscheider Alfried-Krupp-Krankenhaus aufgestiegen ist, hört aufmerksam zu, stellt Fragen, wenn von nächtlichen Komplikationen der die Rede ist, macht sich Notizen. Alles Weitere wird sie in der Patientenakte, dem Kadex, finden.
„Die Bürokratie hat in den letzten Jahren immer mehr zugenommen“, sagt Petra Lindau. Das zeigt sich schon bei Neuaufnahmen. Welche Vorerkrankungen bringt die eben angekommene Seniorin mit? Welche Medikamente nimmt sie ein? Und wie ist das Schmerzempfinden auf einer Skala von eins bis zehn? Krankenpflege-Schülerin Julia Werker notiert alle Angaben. Mal gehen die Antworten als Kreuzchen in den Patientenkadex ein, mal farbig in eine Kurve, wieder anderes findet sich als Text in der Akte wieder, in die bereits gut ein Dutzend standardisierte Formulare geheftet sind.
Fragen, Antworten, so geht es eine Weile bis die Patientin ins Plaudern gerät. Von ihrem Mann erzählt sie, den sie normalerweise zu Hause umsorgt und nur ungern allein lässt. Von ihrer Familie, die sich rührend kümmere. Der Schmerz scheint erträglicher in diesen kurzen Momenten des Plauderns über Dinge, die der Seniorin am Herzen liegen. Sie lächelt, wirkt entspannter.
Doch als Julia Werker schließlich das Zimmer verlässt, schüttelt sie den Kopf: „Das hat eigentlich zu lange gedauert. Das muss schneller gehen“, sagt die Schwestern-Schülerin. Denn im Gesundheitswesen ist Zeit für private Gespräche nicht mehr vorgesehen. „Dabei ist es wichtig, zuzuhören“, sagt Werker. Details, die sich in keiner Akte je wiederfinden werden, höre man dabei, und lerne, worauf man im Umgang mit dem Menschen achten müsse. „Weil ich gern mit Menschen arbeite, habe ich mir den Beruf schließlich ausgesucht“, sagt sie. Um Menschen zu helfen, sie in schwerer Lebenslage nicht nur professionell zu unterstützen, sondern ihnen auch menschliche Zuwendung zu geben, sind die meisten Pflegekräfte angetreten. „Früher“, erinnert sich die Stationsleitung Petra Lindau, „gab es eine Kurve und ein Buch, in dem wir alles Wichtige protokolliert haben.“ Heute schiebt sie einen Aktenberg vor sich her. „Nehmen wir den Bogen für die Patientenaufklärung. Früher ist der ausgefüllt worden, der Patient bekam einen Durchschlag und das Original kam in die Akte. Heute brauche ich zusätzlich ein Formular, auf dem der Patient unterschreibt, dass er den Durchschlag der Patientenaufklärung auch erhalten hat“, sagt Petra Lindau.