„Rate mal, wer am Telefon ist?“ – das ist die klassische Eröffnung der gewieften Betrüger für den „Enkeltrick“. Allein in der vergangenen Woche wurden drei Fälle in Essen bekannt, bei denen ein unbekannter Täter versuchte, bei älteren Personen Geld zu erbeuten (wir berichteten). Er gab sich als Verwandter oder Bekannter aus, der für den Autokauf dringend Geld benötige. Mutmaßt der Angerufene einen Verwandten oder Bekannten, nennt den Namen gar, hat der Betrüger sein Opfer an der Angel, um Geld oder Schmuck zu ergaunern.
So geschieht es in Essen und Mülheim beinahe jeden Tag, weiß Kriminalhauptkommissar Joachim Beyer. Er ist einer der beiden Ermittler, die sich im Raubdezernat (KK 31) des Polizeipräsidiums Essen/Mülheim ausschließlich um „Straftaten zum Nachteil älterer Menschen durch überregionale Täter“ im häuslichen Umfeld der Opfer kümmert. 263 Fälle (darunter der klassische Zettel- oder Wasserwerkertrick, mit dem sich die Täter direkt an der Haustür das Vertrauen erschleichen, um sie in ihrer Wohnung abzulenken oder zu bestehlen) hat er schon in diesem Jahr in beiden Städten abgeschlossen und zum Staatsanwalt geschickt.
Die meisten Fälle werden eingestellt, die Aufklärungsquote ist gering. Die „überregionalen Täter“ machen die Verfolgung schwierig. Manchmal jedoch, wenn ein ausgewähltes Opfer sich zum Schein auf den falschen Enkel, Neffen, Bekannten einlässt, und die Polizei informiert, gelingt eine Festnahme, wie kürzlich in Essen.
Es sind keine Zufallsanrufe, die Taten werden bandenmäßig geplant. „Der Enkeltrick wird nicht allein von einem Täter durchgeführt“, sagt Beyer. „Wir wissen, dass 98 Prozent der Anrufe aus Polen kommen.“ Für den Kontaktanruf suchen sich die Täter Opfer aus, die älter sind. Kein Kevin, keine Jennifer, sondern Wilhelm oder Gertrud werden angerufen. Die Anrufer verwickeln die Seniorin – die meisten Opfer sind weiblich – in ein Gespräch, bei dem es um eine finanzielle Notlage geht. Da muss eine Unfallrechnung oder eine Ersteigerung bezahlt, ein Auto angezahlt, Schulden beglichen werden. „Oma, kannst du mir nicht helfen, ich bin gerade in der Nähe und komme vorbei.“
„Der Trick ist immer der gleiche, nur die Legenden ändern sich“, sagt Joachim Beyer. Es wird Druck aufgebaut – „Oma, da ruft mein Anwalt an, ich melde mich gleich wieder“. Ist dem Opfer die Stimme am Telefon fremd, wird das mit schlechtem Handyempfang erklärt, dass viele Ältere nicht mehr so gut hören, spielt den Tätern in die Hände. „Da sind absolute Profis am Werk, die rufen in der Art eines Callcenters einen Senior nach dem andern an“, so Polizeisprecher Peter Elke. Die Anrufer nennt die Polizei „Logistiker“, die ihrem Opfer schon mal ein Taxi vor die Tür rufen oder wissen, welche Bank in der Nähe mittags geöffnet hat. Macht sich ein Opfer bereit, Geld abzuholen, kommen „Abholer“ ins Spiel, die das Opfer beobachten, damit der Anrufer weiß, wann er sich wieder melden muss.