Wenn Stefan Soltesz an diesem Sonntag zum letzten Mal den Taktstock im Aalto-Theater hebt, dann erklingt noch einmal ein Glanzstück seiner Ära. Strauss’ „Frau ohne Schatten“, nicht gerade ein Renner des Opernrepertoires, hat es seit der Premiere 1998 in Essen auf rekordverdächtige 30 Vorstellungen gebracht, mit glänzenden Auslastungszahlen und jubelnden Zuschauer. Mit Strauss-Abenden wie diesen hat Soltesz bewiesen, dass ein Dirigentenpult nicht unbedingt in München oder Berlin stehen muss, um in der Opernwelt den Ton anzugeben. Soltesz hat das Aalto-Theater in 16 Jahren zu einer Spitzenadresse gemacht. Das Publikum lässt ihn nur ungern ziehen.

Bitterer Beigeschmack bleibt

Umso betrüblicher war für viele die Nachricht, dass der 64-Jährige bereits verabredeten Gast-Auftritte in der nächsten Spielzeit abgesagt hat. Viel ist zuletzt über gescheiterte Preis-Poker, Konkurrenzdenken und verletzte Eitelkeit spekuliert worden. Vielleicht stimmt nichts davon oder alles und doch bleibt ein bitterer Beigeschmack, wenn an diesem Sonntag ein letztes Mal angestoßen werden soll auf einen Mann, der das Essener Musikleben geprägt hat wie kaum ein anderer.

Schon die Stellenausschreibung verhieß damals Machtfülle: Generalmusikdirektor und Intendant in Personalunion, das war ein Novum, als Soltesz 1997 in Essen die Nachfolge von Wolf-Dieter Hauschild antrat. Für jemanden wie Soltesz, der am liebsten alles selber macht, die ideale Kombination. „So konnte ich mich künstlerisch entfalten.“

Und wie! Der Dirigent, damals noch mit überschaubaren Meriten aus Häusern wie Braunschweig oder Antwerpen/Gent ausgestattet, macht aus den Essener Philharmonikern ein Orchester, das den Aufstieg in die Champions League mit Verve und Leichtigkeit nimmt. Dynamisch und farbensatt, saftig im Zugriff und schillernd im Filigran. Nicht nur im Orchestergraben herrscht dabei eiserne Disziplin. Soltesz, geborener Kümmerer und Arbeitstier, behält alles im Auge. Probenpläne, Licht, Ton, Technik, nichts entgeht dem Maestro, der für sein Genie geliebt und für seine Wutausbrüche gefürchtet wird.

„Scala des Kohlenpotts“

Dabei ist Soltesz am Pult alles andere als ein vergrübelter Miesepeter. Seine Dynamik ist mitreißend, ebenso wie seine sichtbare Freude an der Musik. Wenn Soltesz federnd aufs Pult springt, den Körper durchgespannt, den Blick voller Tatendrang, hat er das Publikum schon gewonnen. Er braucht diesen Austausch, wie die Gauloises, die er Kette raucht. Und deshalb war dieser leidenschaftliche Theatermensch in den vergangenen 16 Jahren wohl viel öfter im Einsatz, als mancher Kulturpolitiker anfangs zu hoffen gewagt hatte. „Wer Qualität will, kann nicht dauernd herumjetten“, sagt Soltesz. Er ist nicht nur der Mann für den Premierenrausch, sondern dirigiert auch die x-te Wiederaufnahme mit gleichbleibender Konzentration und hohem Qualitätsanspruch.

Auf der Bühne hingegen hat er Regisseuren viel Freiraum gegeben. Wo andere Intendanten Konventionen hüten, hat Soltesz das Regietheater bisweilen schalten und walten lassen. Frühe Hilsdorf-Abende wurden da Lehrstücke in lustvoller Publikums-Provokation, und das Aalto schien manchmal letzter Rebellionraum für Buh-schreiende Anzugträger zu sein. Diese Freiheit zieht Talente an. Regiestar Stefan Herheim hat im Aalto einen legendären „Don Giovanni“ gezeigt, bevor er in Bayreuth die Wagner-Weihen bekam. Und auch Barrie Kosky gab in Essen seine Visitenkarte ab. Die Kritiker lobten höchstes Sängerglück und Glut aus dem Orchestergraben. Der Spiegel schwärmte gar von der „kleinen Scala des Kohlenpotts“.

Und nun? „Abschiede bedeuten mir nichts“, sagt Soltesz. Er lasse sich auch nie zum Zug bringen. Für Wehmut bleibt eh keine Zeit. Schon Anfang August warten neue Aufgaben in Genf.