Essen. Weil seine Schwester mit ihrem Freund zusammenziehen wollte, verprügelte ein junger Libanese die 20-Jährige - mitten in der Öffentlichkeit, im Essener Hauptbahnhof. Dafür verurteilte das Jugendschöffengericht den Mann zu elf Monaten Haft mit Bewährung. Die Schwester hält sich versteckt.

Sie plante, zu ihrem Freund zu ziehen. Mehr nicht. Doch das erlaubte ihre Familie der 20-Jährigen nicht. Im Essener Hauptbahnhof stoppte ihr Bruder sie, schlug sie vor den Augen zahlreicher Passanten. Dafür verurteilte das Essener Jugendschöffengericht den 21-Jährigen zu elf Monaten Haft mit Bewährung.

Sein mitangeklagter Freund, der ihm während der Schläge den Rücken frei hielt, wurde ebenfalls wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Er bekam sieben Monate Haft mit Bewährung.

Er habe sie „mit der flachen Hand“ geschlagen

Die Schläge ins Gesicht seiner Schwester gab der Angeklagte zu. „Mit der flachen Hand“ habe er sie getroffen. Der Spross einer libanesischen Familie hatte sich zur Tat fast gezwungen gefühlt: „Als Bruder bin ich für meine Schwester verantwortlich, weil unser Vater nicht da ist.“

Laut Urteil wollte der Angeklagte dafür sorgen, dass seine Schwester in den elterlichen Haushalt zurückkehrte. Sie hatte die Familie verlassen, um zu ihrem kurdischen Freund zu ziehen. Damit hatte sie sich dem Willen der Eltern widersetzt. Der Angeklagte suchte am 14. Dezember nach ihr, fand sie am Hauptbahnhof.

Der Mitangeklagte trägt ein T-Shirt mit Totenkopf

Zur Verstärkung hatte er einen deutschen Kumpel mitgebracht. Offenbar ein durchsetzungsfähiger Typ: Zwei Jahre hat er bei der Bundeswehr gedient. Zwischendurch fand er Zeit, seine Arme mit kräftigen Tattoos verzieren zu lassen. Fantasievoll die Wahl seines T-Shirts. Richter Axel Magnus durfte auf einen großen Totenkopf blicken. Kurz und heftig die Aktion auf dem Bahnsteig. Als die Schwester nicht auf den Bruder hören wollte, riss er an ihren Haaren, schlug ihr ins Gesicht.

Zivilcourage gab es auch. Doch die Passanten, die eingreifen wollten, wehrte der deutsche Freund des Hauptangeklagten drohend ab. Er beruhigte sich, als Polizisten und Sicherheitskräfte einschritten. Der Adrenalinspiegel des Bruders blieb in der Höhe. Er beleidigte sie mit „Hurensöhne, Bullenschweine“. Als sie ihn im Auto abtransportierten, versuchte er mehrfach, nach ihnen zu treten.

Dass der Deutsche nur schlichten wollte, nahm das Gericht ihm nicht ab. Bilder aus den Videokameras auf dem Bahnsteig hatten diese Version nicht gestützt. Als Ersttäter bekamen beide Bewährung. Der Libanese muss 500 Euro Geldbuße an den Weißen Ring zahlen, der arbeitslose Deutsche 50 Sozialstunden ableisten. „Damit die Strafe nicht nur auf dem Papier steht“, betonte Richter Magnus. Die Schwester lebt heute an einem geheimen Ort.