Es sollte mehr ein Denkanstoß sein, ein baukulturelles Gedankenspiel. Wenn man das alte Rathaus wieder aufbaute, dann würde dieses „wohl der Innenstadt den Ort der Identifikation geben, der den Bürgern heute so fehlt“, schrieb der Essener Architekt und engagierte Mitbürger Axel Koschany im Monatsmagazin der Essener IHK. Die WAZ griff Koschanys Überlegungen für eine Stadt mit menschlichem Antlitz, mit starkem urbanen Leben und mit Sinn für Traditionen auf und stellte sie zur Diskussion. Was dann passierte, war erstaunlich. Viele Essener Bürger - naturgemäß vor allem ältere - waren auf Anhieb begeistert, erinnerten sich an schöne Stunden im alten Rathaus, klagten über die architektonische Nüchternheit des Stadtkerns und machten aus dem vagen Gedankenspiel des Architekten ein Plädoyer: Baut das alte Rathaus wieder auf!
Ich fand das berührend, weil es zeigte, dass es auch in Essen eine ungeahnt große Sehnsucht nach Identifikation mit der Heimatstadt gibt. Um ehrlich zu sein, ich habe Essener Bürger noch nie in wärmeren Worten über ein Gebäude in der Innenstadt reden hören, sieht man vom Dom vielleicht einmal ab.
Nun wird auch der größte Optimist nicht ernsthaft erwarten, dass eine solche zwar wünschenswerte, aber aus vielen Gründen schwierige Stadtreparatur in nächster Zukunft in Angriff genommen wird. Allerdings zeigen ähnliche Beispiele in anderen Städten, dass zunächst für Spinnereien gehaltene Rekonstruktions-Ideen dann doch Realität wurden. Ein gutes Beispiel ist der von Koschany genannte Wiederaufbau von Teilen der Frankfurter Altstadt. Das erst belächelte und für unrealistisch gehaltene Projekt hat in der dortigen Bürgerschaft einen Begeisterungsschub, eine Renaissance der verlotterten, vernachlässigten Innenstadt ausgelöst.
Technokratischen Naturen muss sowas unbegreiflich bleiben. Die Rathaus-Debatte war der Essener Stadtspitze, vollauf beschäftigt mit blutleerer Verwaltungs-Mechanik a la „Strategieprozess Essen 2030“, nicht mal ein einziges Wort wert, jedenfalls keines, das bekannt geworden wäre. Dabei lässt sich aus der plötzlichen Begeisterung viel lernen: Wem es nicht gelingt, Leidenschaft zu wecken und mit Projekten die Köpfe und Herzen der Bürger zu erreichen, wer es nicht schafft, Träume, Symbole und starke Bilder zu produzieren, der kann sich den vielen Papierkram auch gleich sparen.
Was das Ja der Bürger zu ihrer Stadt stärkt oder überhaupt erst wieder weckt, weist hingegen den Weg. Warum also nicht das alte Rathaus wieder aufbauen, irgendwann?