Essen. . Wie viel lauter es in Essen geworden ist, kann die Stadt nicht sagen. Neue Messmethode für Lärmkarten.

Noch ist es Simone Raskob eindeutig zu laut in Essen, vor allem an den Autobahnen und Hauptstraßen, die überall durchs Stadtgebiet führen. „Das sind wahre Hot-Spots“, so Essens Bau- und Umweltdezernentin, die die neue Lärmkartierung der Stadt vorstellte. Raskob spricht von „Summenzahlen belasteter Menschen“, von „rechtlichen Ausgangslagen“ und wirft mit Fachwörtern nur so um sich. Er sei eben eine schwierige Materie, der Lärm, und schwer zu fassen. Und jeder könne die 20 Seiten des Berichts in Ruhe lesen. Doch mit der Stille ist das gar nicht so einfach in Essen.

Denn es ist deutlich lauter geworden in der Stadt, irgendwie zumindest. Und irgendwie wieder nicht. Denn anders als 2006, als der Lärm zwischen Byfang und Borbeck erstmals gemessen und in Karten verzeichnet wurde, kam diesmal eine andere Messmethode zum Einsatz – eine, bei der mitgerechnet wird, wie stark sich die Straßenschluchten auf den Lärmpegel auswirken. „Das hört sich kompliziert an“, weiß Raskob. Nun habe man mit größtmöglicher Genauigkeit gemessen, dass alte und neue Werte sich nun nicht mehr so gut vergleichen lassen, „das nehmen wir in Kauf“, betont die Dezernentin. Und dennoch hat sie vergleichen. „Denn wir sind dazu verpflichtet“, sagt Raskob. Eine Richtlinie der EU schreibt der Stadt vor, alle fünf Jahre die Ohren zu spitzen, nachzumessen und neue Lärmkarten anzulegen – über den Straßen-, Schienen-, Fluglärm, Gewerbe- und Industrielärm. Unzählig viele Daten würden anfallen. Um sie auszuwerten brauche es zehn Computer, die eine Woche lang Tag und Nacht rechnen, mit dem Ergebnis: Es ist viel zu laut in Essen.

Rund 164.000 Menschen seien alleine durch den Straßenlärm „belastet“ – etwa 18.000 weniger als beim ersten Lärmcheck, aber wie gesagt: Mit der Vergleichbarkeit hapert es. Insgesamt ist der Straßenlärm (siehe Karte) gesunken, in den Bereichen über 70 Dezibel gibt’s dafür 5700 Betroffene mehr. „Erfreulich ist, dass wir im Gewerbe- und Industrielärm überhaupt keine Überschreitungen zählen“, so Raskob.

Zahlen und Daten zum Fluglärm

Mehr Starts und Landungen auf den Flughäfen Düsseldorf und Essen-Mülheim bedeuten für die Bevölkerung mehr Lärm. So wurden im Düsseldorfer Geschäftsbericht 225.089 Flugbewegungen für 2011 ausgewiesen, 9.610 mehr als 2006. In Essen-Mülheim ist die Zahl auch gestiegen. Deutlich wird dies anhand der Platzrunden. Das Umweltamt zählt rund 20.000 statt bisher 6000, was laut Raskob zu einem „deutlichen Anstieg der Betroffenzahlen“ führt. Beide Flughäfen weisen vorläufig jedoch keine Betroffenen oberhalb von einem Geräuschpegel von 65 Dezibel(A) aus. In der Nacht bewegt sich der Lärm beider Flughäfen unter der Darstellungsgrenze für die Lärmkartierung von 50 dB(A), „daher werden auch keine Lärmbetroffenen ausgewiesen“, so der Bericht.

Wie der Lärm in Essen weiter reduziert werden kann, will das Dezernat bis zum Ende des nächsten Jahres erarbeiten. Der Einsatz von Flüsterasphalt, ein aus dem Konjunkturpaket II finanziertes Programm für den Einbau spezieller Lärmschutzfenster und neue Tempo-30-Zonen in den Nachtstunden hätten bisher Erfolge gebracht. „Daran wollen wir anknüpfen“, so Raskob. Vorstellen könnte sie sich ein neues Förderprogramm für Hausbesitzer; entscheiden müsse darüber aber der neu gewählte Rat. Doch zuerst will ihr Dezernat gemeinsam mit den Essenern weitere Lärmquellen ausmachen, die es dann abzuschalten gilt. Ab Herbst sollen die Bürger über das Internet mitmachen können.

Gleitmittel gegen den Straßenbahnlärm

Lautes Quietschen und Schleifen in den Kurven, das war einmal. Auch die Essener Verkehrs AG beteiligt sich daran, ihre Lärmemissionen zu verringern. Daher hat die Evag eigens ein Konzept für die Schienenkopfbehandlung entwickelt. Was sich dahinter verbirgt? Stadt- und Straßenbahnen, die mit einer Schienenkopf-Behandlungsanlage ausgerüstet sind, sprühen an ausgewählten Punkten funkgesteuert Gleitmittel auf die Schienenoberfläche.

Durch diese Methode werden der relativ hohe Reibungswert bei trockenen Schienen und die Querkräfte an der Innenschiene so weit reduziert, dass die Quietschgeräusche in den Kurven um einen Geräuschpegeln von 5 bis 8 Dezibel(A) gesenkt werden. In Bereichen von Straßenschluchten wird dieser positive Effekt jedoch durch die neue Messmethode der Stadt um bis zu 3,2 dB(A) gemindert. Das erste Fahrzeug mit dieser neuen Technik ging bereits 2004 auf Strecke. „Das System wurde von den Evag-Technikern zusammen mit der Firma Rebs entwickelt und getestet. „So etwas gab’s vorher nicht in Deutschland“, sagt Olaf Frei, Sprecher der Verkehrsbetriebe. Derzeit sind elf Bahnen mit Anlagen zur Schienenkopfbehandlung ausgerüstet.

Fahrgäste sagen wo es quietscht

Die Stellen und Kurven an denen Gleitmittel gesprüht werden, sucht die Evag entweder aufgrund eigener Beobachtungen aus, oder weil Anwohner oder Fahrgäste sie darauf aufmerksam machen – etwa in der Wendeschleife an der Werthstraße oder im Bereich der S-Kurve Gutenbergstraße/Rellinghauser Straße.

Dennoch: „Fairerweise ist zu sagen, dass trotz dieses Systems eine Straßenbahn nicht völlig geräuschlos fahren kann“, sagt Frei. Dies sei völlig unabhängig vom Alter oder Baujahr der Fahrzeuge.