Der teilweise Neubau der Messe Essen ist politisch weiterhin hoch umstritten. Vor allem die Essener Grünen sind in einem Entscheidungs-Dilemma, und die Bürger sollen ihnen heraushelfen. Ein Bürgerentscheid aber würde Zeit kosten, die die Messe wahrscheinlich nicht hat. Eine Analyse

Es gibt Tage, da möchte man nicht in der Haut der Ratspolitiker stecken. Der 17. Juli, wenn im Rat das wohl endgültige Votum für den teilweisen Neubau der Messe fallen soll, ist so ein Tag. Richtig wohl ist dabei eigentlich niemandem, denn letztlich beruht alles auf einer Risikoabwägung - und dem Prinzip Hoffnung. Geht die Messe Essen wirklich einer gedeihlichen Zukunft entgegen, wenn die Stadt nun 123 Millionen Euro investiert oder droht trotz dieser Investition langsames Siechtum? Und: Reicht das Geld überhaupt aus, um die vorgestellten Pläne zu realisieren oder ist - wie so oft bei Projekten dieser Art - mit erheblichen Kostensteigerungen zu rechnen?

„Was ist die Alternative?“

Die Aussage des Bau-Chefs der Messe, es gebe keinerlei Finanzpuffer und die Bausumme sei absolut auf Kante genäht, war erfrischend ehrlich. Und angesichts einer von Anfang an verkorksten Kommunikation verdient soviel Offenheit Lob. Die Angst vermindert hat es jedoch nicht. Die Ratsleute von SPD, CDU, Essener Bürgerbündnis und FDP ordnen ihre Sorgen aber einem Sachzwang unter: „Was ist die Alternative?“, lautet die Frage. Wer, so heißt es, will denn auf sich nehmen, die Messe womöglich kaputt gehen zu lassen, indem man ihr die Weiterentwicklung verweigert? Die SPD ist zusätzlich in der Pflicht, weil Oberbürgermeister Reinhard Paß den Messe-Ausbau sehr früh zu seiner Sache machte.

Die einzige Fraktion, die sich vorstellen kann, die Messe zu opfern, sind die Linken. Obwohl sonst Schutzheilige des öffentlichen Dienstes, ist ihnen das Risiko zu groß und die Munition für die kommenden Wahlkämpfe zu verlockend. Aus Lust an der Fundamentalopposition lässt sich leicht Tabula rasa fordern.

Bleiben die Grünen. Mit einigem Respekt kann man sagen: Sie tragen die Zweifel, die viele quälen, wirklich aus und lassen die Öffentlichkeit daran teilhaben. Man könnte aber auch weniger schmeichelhaft sagen: Die Grünen können sich nicht entscheiden. Der staatstragende Weg von CDU, SPD und Co. ist Teilen der messe-kritischen Basis unsympathisch. Aber der unverantwortliche Weg der Linken ist mit den Grünen dann eben doch nicht (mehr) möglich.

Unglücklicherweise sind die meisten Fragen berechtigt, die die Grünen der Messe, dem OB und der Stadt stellen: Muss es wirklich soviel Um- und Neubau sein? Reicht das Geld? Wenn die Stadt selbst einen Kredit aufnimmt, statt nur für den teureren ihrer Messetochter zu bürgen - sind dann noch andere Investitionen, etwa an Schulgebäuden möglich? Werden die Interessen der Gruga und von Kur vor Ort angemessen beachtet?

Die Grünen hadern und zweifeln, und wir alle sollen ihnen aus der Patsche helfen. Sie wollen den Rat dazu bewegen, von sich aus die Bürger über das komplexe Projekt abstimmen zu lassen. Ratsbürgerentscheid heißt dieses Instrument, doch die dafür notwendige Zweidrittel-Mehrheit ist nicht in Sicht. Was nun? Wer A sagt - also einen Ratsbürgerentscheid erzwingen will - der müsste eigentlich auch B sagen und im Misserfolgsfall eben den Weg eines normalen Bürgerbegehrens wählen: auf die Straße gehen, Unterschriften sammeln.

Der Messe-Umbau ist aber nicht nur finanziell auf Kante genäht, auch zeitlich, weil der Messe-Betrieb zwingend weitergehen muss. Bürgerbegehren und Entscheid könnten das Vorhaben um Jahre zurückwerfen und das Unternehmen grundlegend gefährden. Wollen die Grünen das auf ihr Gewissen nehmen? Es hat den Anschein. Ihre Rhetorik wird schriller, und am Ende sind vielleicht auch vernünftige Vertreter wie Fraktionschefin Hiltrud Schmutzler-Jäger außer Stande, die geschürten Erwartungen wieder einzufangen. Es ist ein gefährliches Spiel. Die Grünen wissen das hoffentlich.