Essen. . Was passiert, wenn die Stadt Essen ihren üppigen Bestand an Aktien des Energieriesen RWE auf den aktuellen Kurs wertberichtigen muss? Nur die Linken trauten sich zu fragen – aber alle wollen’s wissen.

Über welche Kleckerbeträge haben sich die Parteien im Rat nicht schon gefetzt, 100 Euro hier, 1000 Euro dort. Doch wenn es an die ganz großen Summen geht – jene, die vielleicht das ganze Finanzierungssystem in Frage stellen, trauen sich irgendwie nur die „üblichen Verdächtigen“ ran.

Was passiert eigentlich, wenn die Stadt ihre 11.750.777 Aktien des Energieriesen RWE auf den aktuellen Kurs wertberichtigen muss? Sind für diesen Fall (Vorsichts-)Maßnahmen getroffen? Und hätte das Auswirkungen auf die ohnehin schon weit ausgereizte Kreditlinie der Stadt?

So fragten die Linken gestern im Rat der Stadt, nachdem die NRZ vor zwei Wochen vorgerechnet hatte, dass das finanzielle Horror-Szenario einer Abwertung in den letzten Wochen spürbar an Kontur gewonnen hat: Erste kleinere Gemeinden haben schon ihre Buchwerte korrigiert, beim Revier-Nachbarn Dortmund denken sie darüber nach.

Essen verhielt sich stiekum, denn hier wurden die RWE-Wertpapiere einst mit einem Kurs von 75,92 Euro in die Bücher aufgenommen. Bei einem Kurswert von gestern nur noch 26,86 Euro entstünde so ein Korrekturbedarf von 49,06 Euro je Aktie. Multipliziert mit der Zahl der Papiere würde so das Eigenkapital der Stadt auf einen Schlag um mehr als 576 Millionen Euro schrumpfen. Und die nur unter großen Spar-Anstrengungen bewahrte Allgemeine Rücklage der Stadt würde zum Ende dieses Jahres von geplanten 695,5 auf nur noch 119 Millionen Euro sinken (siehe Tabelle).

Diesen Schritt aus lauter Liebe zu einer ehrlichen Darstellung der eigenen Vermögenslage zu unternehmen, so wie es der Ratsvertreter der Wählerinitiative „Essen steht AUF“ vorschlug, löste gestern allgemeines Kopfschütteln aus: „Ein Himmelfahrtskommando“, so Thomas Kufen von der CDU, ein gezielter Versuch, der Stadt zu schaden, fand Rainer Marschan von der SPD. Grüne und FDP argumentierten ähnlich, und Udo Bayer (EBB) verstieg sich sogar zu der Annahme, der MLPD-geprägten AUF-Gruppierung gehe es am Ende wohl darum, den Untergang des Kapitalismus herbeizuorganisieren.

Und doch: Die von der Linkspartei aufgeworfenen Fragen „sind richtig gestellt“, so Bayer. Hiltrud Schmutzler-Jäger von den Grünen geht sogar davon aus, dass am Ende eine Wertkorrektur auf einen Mittelwert erfolgen muss.

Aber wenn, dann nicht im Alleingang einer Stadt, sondern „im Konzert der Anteilseigner“, so CDU-Frontmann Kufen. Ein finanzieller Sturzflug, ohne Frage, und Essen auf dem Pilotensitz.