Essen. Das Essener Museum zeigt die Deutschland-Foto-Reportage des Magnum-Mitglieds Leonard Freed. Er lichtete das Deutschland der 50er- und 60er-Jahre ab – von Bochumer Müttern vor den Fotos ihrer gefallenen Männer und Söhne und die nicht näher bekannte Familie eines Künstlers mit Hut: Joseph Beuys.

Die Fotos sind „made in Germany“, der Fotograf stammte aus Brooklyn. Leonard Freed, Sohn jüdischer Auswanderer aus Minsk, Magnum-Mitglied, fotografierte „Germany“, als es noch nicht lange her war, dass die Germans den Kontinent verwüstet hatten und gerade aus den Ruinen ein Wirtschaftswunderland zu wachsen begann. Was waren das für Menschen? War war bloß los mit diesem Land, und was würde daraus werden?

Leonard Freed (1929-2006) hat seit Mitte der 50er Jahre und bis in die 90er hinein Fotoreportagen aus diesem merkwürdigen Deutschland über die größten Magazine in der Welt verteilt und 1970 ein Konzentrat der 50- und 60er Fotos in einem New Yorker Verlag unter dem Titel „Made in Germany“ als Buch veröffentlicht. Ein Großteil dieser 124 Fotos befindet sich heute dank der Freed-Witwe Brigitte und der Stiftung Presse-Haus NRZ im Folkwang-Besitz und ist bis zum 1. September im Museum zu sehen.

Ein undeutsches Mädel

Schon das erste Foto zeigt den speziellen Freed-Blick: nah, genau, lakonisch. Eine Frau steht, sichtlich begeistert, mit erhobenem Arm in einer Bonner Menschenmasse. Sie jubelt der englischen Queen zu, wie uns - nur - der von Freed selbst verfasste Bildkommentar verrät. Wem mag sie zehn Jahre vorher zugejubelt haben?

Auf dem zweiten Foto liegen junge Leute höchst „undeutsch“ im Gras, das Mädel mit dem viel zu kurzen Rock gibt sich augenscheinlich mit gut gelaunten „Gammlern“ ab, und, schlimmer fast, es raucht!

Welches war nun das richtige Deutschland? Das mit den schlampig abgekratzten Hakenkreuzen oder das der jungen Generation, der ein paar Wände weiter ein grauer Herr energisch zeigt, wo's lang geht: „Geh doch rüber!“ Freed , der Jude, der eine deutsche Nichtjüdin heiraten sollte, begann zu verstehen, wozu ein Volk, das sich selbst so hassen kann, fähig ist.

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Für Siegermächte-Propaganda und Heidelberg-Romantik stand Freed nicht zur Verfügung. Er dokumentierte, als Ressentiments gegen Deutschland noch vital waren, distanziert und fasziniert zugleich den Riss in der Gesellschaft und den Seelen, zwischen Reflexen und Revolten, Eisernem Kreuz und krummen Rücken; Menschen beim gemütlichen Plausch am Zaun und beim Strammstehen vor Konrad Adenauer, Bochumer Mütter vor den Fotos ihrer gefallenen Männer und Söhne und, auch das noch, eine nicht näher benannte Oberkasseler „Family of an Artist“ , der einen lustigen Hut trägt: Joseph Beuys.

Das alles war Deutschland, damals, als noch alles möglich war, sogar das Deutschland von heute.