Ob hier einst der Vertrag für Helmut Rahn drin lag? Dicke D-Mark-Bündel aus ausverkauften Erstliga-Spielen? Der Pokal vielleicht oder die Meisterschale von 1955? Sicher genug wären sie wohl alle gewesen in diesem wuchtigen mannshohen Tresor der Wuppertaler Geldschrankfabrik Gust. Kellner Söhne aus Barmen mit seinen vier dicken Stahlbolzen.

Jörg Lawrenz streichelt dem tonnenschweren Schmuckstück beinahe zärtlich über die Intarsien, und wo der unbefangene Zuschauer ringsum nur eine baufällige Bruchbude sieht, erkennt der Sprecher der Initiative zum Erhalt der Haupttribüne mit leuchtenden Augen ein Stück rot-weisser Fußballtradition an jeder Ecke: den Aufzug zur Clubgaststätte! Die ollen Fenster der Geschäftsstelle! Fliesen! Fensterbänke, rot und weiß! Und nicht zu vergessen die einstige Tür zum Zimmer von Namensgeber Georg Melches mit dem Bullauge, durch das sie wohl alle geguckt haben: Helmut Rahn, Willi Lippens, Horst Hrubesch – Lawrenz und Co. haben sie gerettet.

Nur vom größten „Schatz“, der alte Haupttribüne von 1956 selbst, müssen sie sich verabschieden, der Kampf um ihren Erhalt ist verloren. Lawrenz, der im knallroten Georg-Melches-T-Shirt gekommen ist und aus dem Stand flammende Reden fürs Stadion halten kann, empfindet das als großen Fehler, aber vom Fußball weiß er: Man muss auch verlieren können. Und wie man verliert, sagt mehr über einen als jede Siegesparty. In den nächsten Tagen gilt es, das unter Beweis zu stellen, denn die letzten Reste des altehrwürdigen Georg-Melches-Stadions werden dem Erdboden gleich gemacht.

Am Ende bleiben 45-Millimeter-Brösel

Die Männer fürs Grobe sind schon eingetroffen und mit ihnen zwei Bagger-Ungetüme, einer von 40, einer von 60 Tonnen mit einem 24 Meter langen Greifarm. Letzteren werden sie wohl am Donnerstag in Position bringen und dann, nak-nak-nak, an der alten Osttribüne vorexerzieren, wie man binnen zwei Wochen reichlich Stahl und Beton „zurückbaut“, wie sie es ausdrücken. Parallel dazu wird die Haupttribüne entkernt, werden wiederverwertbare Materialien ausgebaut und Schadstoffe entsorgt, bevor dann Anfang Mai auch hier die dicken Brocken fallen.

Abgerissen wird nach „innen“, ins alte Stadionrund, wo eine Brechanlage die steinere Stadionlegende zu Bröseln von maximal 45 Millimetern Größe zerkleinert: Das mineralische Material, immerhin rund 11.000 Kubikmeter, dient später als Unterbau für jenen Parkplatz mit seinen 710 Stellplätzen, der zwischen dem neuen Stadion und der Hafenstraße entsteht: Um den Geländeausgleich hinzubekommen, wird dazu allerdings noch reichlich Boden zusätzlich angefahren: Am Ende werden 80.000 Kubikmeter nötig sein, schließlich gilt es, eine Fläche von nicht weniger als 25.000 Quadratmetern – das sind fünf Fußballplätze – um bis zu sechs Meter anzuschütten.

Der Erdaushub dazu kommt im Wesentlichen aus den Großbaustellen der Stadt, etwa aus dem Univiertel, weiß Tobias Klick, der als Projektleiter bei der Ingenieurs- und Beratungsgesellschaft Asmus + Prabucki die Baustelle unter seinen Fittichen hat. Ohne vorhergehende Analyse wird dabei keine Lkw-Lieferung abgekippt. In der ersten oder zweiten Maiwoche, wenn die Osttribüne Geschichte ist, geht’s von Norden her los, dann kommen täglich 1000 Kubikmeter an. Ende Juli soll die „Erdverschiebung“ über die Bühne gegangen sein: „Wir wollen so viel wie möglich schaffen, um kein Trümmerfeld zu hinterlassen“, sagt Klick.

Denn mit der Geländeauffüllung ist ja der Parkplatz noch nicht gebaut. Bei der GVE tut man sich noch etwas schwer mit Terminzusagen: Die vierte Tribüne steht zur kommenden Saison zur Verfügung, das ist abgemacht, beteuert der fürs Projekt verantwortliche Markus Kunze, aber sonst? Sag’s mit Beckenbauer: Schau’n mer mal.

Für Jörg Lawrenz und alle anderen, die der alten Haupttribüne hinterhertrauern, gibt’s eh noch andere Baustellen: Wohin mit den ganzen Stadion-Devotionalien? Wohin mit den Marmorplatten, dem Wandbild, das sie aus der Mauer rausschneiden werden, wohin mit dem Mäuerchen, auf dem einst alle gesessen haben, die auf Spieler warteten? „Das ist in vielerlei Hinsicht noch offen“, sagt Lawrenz, der die Tradition derzeit in einem Zwischenlager sicher verwahrt weiß.

Bei der Initiative hoffen sie noch aufs Fan-Haus, das sei ihnen ja versprochen worden, aber hier gilt, was fürs Fußballspielen gilt: Der nächste Kampf ist immer der schwerste.