Wie oft ist man schon die Kettwiger Straße entlang gelaufen, ohne die drei großen steinernen Kreuze vor der Dom-Insel auch nur beiläufig zur Kenntnis zu nehmen. Ausgerechnet zu Ostern allerdings wäre ein Bemerken besonders schwierig. Denn Essens „Kalvarienberg“, wie man Nachbildungen der Kreuzigungsszene Christi nennt, verschwindet in diesen Tagen wieder mal ganz hinter den Buden des Ostermarktes. Ein jährlich wiederkehrender Zustand, der bei Kirchenvertretern zwar keine Begeisterung, aber auch keine Gegenreaktionen hervorruft. „Wir könnten uns das sicherlich anders vorstellen“, sagt Dompropst Otmar Vieth, „aber wir können damit leben“.

Die biblische Karfreitagsszene vor Jerusalem begegnet einem in katholischen Gegenden sehr häufig. Dass sie ausgerechnet in Essen so prominent platziert ist, kann man bemerkenswert finden, denn rein katholisch ist die Stadt schon lange nicht mehr. Vor genau 450 Jahren zog die Reformation ein, und die meisten Bürger folgten bereitwillig der neuen Lehre. Die Äbtissinnen als Landesherrinnen blieben selbstredend beim Alten - ein Quell ständiger Reibereien zwischen Bürgern und Obrigkeit.

Im 18. Jahrhundert verbürgt

Im Jahr 1803 war es dann vorbei mit dem Stift Essen, das damals unbedeutende Landstädtchen fiel mitsamt den dazugehörigen Ländereien und Dörfern - etwa Borbeck - an die protestantische Großmacht Preußen. Die uralte Kathedralkirche der Fürstäbtissinnen wurde für mehr als 150 Jahre zur schlichten Pfarrkirche. Was ebenfalls stehen blieb, waren die drei Kreuze, die es an dieser Stelle schon im 18. Jahrhundert gegeben haben muss, wenn auch zunächst noch ohne die drei Figuren.

Ein späterer Gewährsmann dafür ist der preußische Beamte Justus Gruner, der von der Berliner Regierung ausgesandt war, um die „Rückständigkeit“ der neuen katholischen Provinzen zu dokumentieren. „Drei Kreuze und ein verwesungsvolles Knochenhaus paradieren hier unmittelbar an der Straße“, spottete Gruner 1803 in seinem Bericht, „wahrscheinlich als ein stetes Memento mori den Häusern der Stiftsdamen gegenüber“. Memento mori meint soviel wie: Bedenke, dass du sterben musst! Gruner lieferte jedenfalls die bestellte Generalkritik, und auch diesseits des Religiösen kam die Stadt nicht sonderlich gut weg. Beklagt hat Gruner beispielsweise ihre schmutzigen Straßen, und das kann natürlich sehr gut stimmen.

Die Essener Katholiken dachten indes nicht daran, vor den neuen Herren klein beizugeben. Die Kreuze zierten weiter die Mitte der Altstadt, und sie wurden zu einem „richtigen“ Kalvarienberg erhoben. Vom Kirchenvorstand erhielt der Düsseldorfer Bildhauer Dietrich Meinardus 1844 den Auftrag, die drei Figuren anzufertigen „und an die Kreuze anzuheften“, wie es im Münsterarchiv heißt. 1,80 Meter groß ist die Christus-Figur, etwas kleiner die Skulpturen der beiden „Schächer“ - zwei Verbrecher, die - so erzählt es die Bibel - gemeinsam mit Jesus am Kreuz starben.

Zweimal wurde die Kreuzigungsgruppe seither restauriert, eine dritte Sanierung sei dringlich und steht nach Auskunft von Dombaumeister Ralf Meyers in den nächsten Jahren an. Eine sehr schöne, unter Schutz stehende Platane hat sich mittlerweile weit über den Kalvarienberg erhoben, der selbst ein Denkmal ist und dem die Leiterin der städtischen Denkmalpflege, Petra Beckers, mehr Aufmerksamkeit wünscht. Aufmerksamkeit hinter Bretterbuden? „Für den Ostermarkt ist gerade die breite Stelle in Höhe Burgplatz wichtig“, sagt Dieter Groppe, Prokurist der Essen Marketing GmbH, die den Markt organisiert. Und mit den Dom-Verantwortlichen stehe man über all das in bestem Einvernehmen. Alles richtig. Trotzdem bleibt ein komisches Gefühl. Gerade zu Ostern.