Essen. . Der Verein „Call Center Essen“ will mit einem bundesweit einmaligen Siegel das Image aufpolieren. In Essens Call-Centern arbeiten heutzutage Kaufleute, doch qualifizierte Anwärter zu finden, ist nicht immer einfach.
„Zehn Millionen Euro am Telefon abgezockt“: So titelte die NRZ vor knapp drei Jahren, nachdem die Polizei den Betrug eines Essener Call-Centers an 80.000 Opfern aufgedeckt hatte. Mancher Leser wird sich womöglich noch an das Foto erinnern: Ein überdimensionales Eurozeichen als Deckenleuchte prangte über 100 Computerarbeitsplätzen im Großraumbüro am Kopstadtplatz, an der Wand badete ein zu Tapete gewordener Dagobert Duck in seinen unvorstellbaren Reichtümern – die Dollar-Zeichen stets im Blick. „Dieser Einzelfall hat unserer Branche, unserem Image in der Stadt damals sehr zugesetzt“, erinnert sich Achim Herbst, Geschäftsführer bei „A. Sutter Dialog Service“ noch gut. Es ging um bandenmäßigen Betrug und Geldwäsche. Drei mutmaßliche, zum Teil vorbestrafte Strippenzieher der großangelegten Abzockerei per Telefon wanderten direkt in Untersuchungshaft. Und ihr Fall auf die Titelseiten deutscher Zeitungen.
„Leider gibt es in jeder Branche schwarze Schafe, auch in unserer. Sie und ihr Treiben rücken, etwa in Betrugsfällen wie diesem, immer wieder in den Fokus und sorgen für das schlechte Image der gesamten Branche“, beklagt Thomas Bergmann vom Call-Center CMS 24. Um gegen das Image der abgezockten Glücksspiel- und Handelsvertreter am anderen Ende der Leitung vorzugehen – und es aufzupolieren – haben Achim Herbst als Vorstandschef und seine Kollegen vom 2007 gegründeten Verein „Call Center Essen“ nun ein eigenes Qualitätssiegel entwickelt. „Wir sind und können viel viel mehr, als es weite Teile der Bevölkerung meinen“, so Herbst. Rund 2.000 der 4.500 Mitarbeiter in der lokalen Call-Center-Branche sind in den Mitgliedsunternehmen des Vereins beschäftigt – neben Sutter sind das zum Beispiel „020 - Epos“, SNT und Telegate sowie das Call-Center von Medion, die Weststadt Akademie als Weiterbildungsinstitut und der Essener Wirtschaftsförderer EWG.
Um die Verbraucher vor unlauteren Telefonanrufen zu schützen und den schwarzen Schafen der Branche einen Riegel vorzuschieben, haben sich die Vereinsmitglieder bereits zuvor einem Ehrenkodex verpflichtet; das neue Qualitätssiegel soll ihre Bemühungen verstärken. Wer es haben will, muss sich einer Prüfung durch einen beauftragten Rechtsanwalt unterziehen. Drei Kriterien stehen dabei im Fokus: Das Unternehmen muss gewährleisten, dass seine Mitarbeiter fachgerecht eingearbeitet werden und zu allen für die Aufträge relevanten Themen geschult werden. Das Unternehmen muss einen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde garantieren; Zulagen oder Sonderzahlungen bleiben dabei unberücksichtigt. Herbst betont: „Das ist natürlich die absolute Untergrenze. Bei uns etwa steigen Berufseinsteiger nicht unter 10,60 Euro ein.“ Weiter wird gefordert, dass der Anteil sozialversicherungspflichtig Beschäftigter mehr als die Hälfte aller Mitarbeiter ausmacht. In den Bedingungen heißt es außerdem: „Das Unternehmen verpflichtet sich zur Einhaltung der rechtlichen Regeln, insbesondere zur Beachtung sämtlicher Vorgaben des Verbraucher- und Datenschutzes.“
Das Qualitätssiegel ist den Mitgliedern des Vereins vorbehalten und für bis zu drei Jahre gültig. Danach kann es – durch eine erneute Prüfung – verlängert werden. Erfüllen sie die Anforderungen, bekommen die Mitglieder das Siegel kostenfrei. „Firmen, die das Qualitätssiegel erhalten, verpflichten sich, weiterhin die Qualitätskriterien des Vereins zu erfüllen“, betont Gordon Barrey, der die Fort- und Weiterbildung der Weststadt Akademie verantwortet. Für den Fall, dass sich doch mal ein schwarzes Schaf in der Call-Center-Herde befindet, schaut der Verein ohne Voranmeldung noch einmal vorbei. Und natürlich nach dem Rechten. „Wer gegen die Kriterien verstößt, muss das Siegel wieder abgeben“, sagt Barrey, der sich durch die Vereinsoffensive auch qualifiziertere Bewerber für die gesamte Branche erhofft.
Eine Orientierungshilfe für Bewerber
Dass Dialog-Marketing, so heißt das Arbeiten im Call-Center, kein Job für Jedermann ist, verdeutlicht Peter Schumacher. Er ist im Auftrag der EWG für den Unternehmensservice zuständig. Und weiß, wie schwierig Personalakquise heutzutage ist. „Wir sehen das neue Qualitätssiegel als wichtiges Instrument, um Bewerbern eine Orientierungshilfe bei der Auswahl seriöser Arbeitgeber zu ermöglichen“, sagt Schumacher, zugleich zweiter Vorsitzender im Verein „Call Center Essen“. Denn zertifizierte Unternehmen, die sich regelmäßig der Prüfung durch einen unabhängigen Sachverständigen unterziehen, könnten mit dem Siegel bald öffentlichkeitswirksam zeigen, dass sie bestimmte Qualitätsstandards in ihren Firmen beachten und einhalten. „Es ist leider so, dass sich viele Menschen gar nicht erst in Call-Centern bewerben, weil sie meinen, die Arbeitsbedingungen wären nicht okay und dass dort Schmu betrieben würde“, beklagt Thomas Bergmann vom Call-Center „CMS24“.
Unterstützt wird das Siegel auch vom städtischen Jobcenter, das im Call-Center-Verein mit am Tisch sitzt. Künftig soll’s einen Aushang im Jobcenter geben, der auf die Firmen hinweist, die das Siegel tragen. Der Verein hofft, dass dies dazu beiträgt, dass qualifizierte Berber künftig keine Scheu mehr haben und sich in lokalen Call-Centern bewerben. Bereits ab der kommenden Woche soll ein Rechtsanwalt im Vereinsauftrag die ersten Call-Center überprüfen. Wer das Qualitätssiegel tragen darf, wird im Internet auf www.call-essen.de veröffentlicht.
Die lokale Call-Center-Branche
In der Stadt gibt es derzeit mehr als 50 Call-Center, die zumeist in der Innenstadt angesiedelt sind. Rund 4.500 Beschäftigte arbeiten in der Branche, davon sind 57 Prozent Frauen. In Vollzeit sind 77 Prozent der Mitarbeiter tätig. 102 Personen gehen aktuell in Essener Call-Centern in die Lehre zur Kauffrau/zum Kaufmann für Dialogmarketing, 20 weitere als Servicefachkräfte in diesem Bereich. 54 Prozent der Essener Call-Center bilden aus. Erkennbar ist ein Wachstum in der lokalen Branche: 55 Prozent der Firmen stellen ein.
Arbeiten im Call-Center
Seit 2006 gibt es die Ausbildungsgänge Servicefachkraft für Dialogmarketing (2 Jahre) und Kaufmann/-frau für Dialogmarketing (3 Jahre). Der Berufsabschluss wird auch als Umschulung angeboten. Servicefachkraft für Dialogmarketing ist ein anerkannter Beruf nach dem Berufsbildungsgesetz. Sich zur Kauffrau/zum Kaufmann für Dialogmarketing weiterzubilden, ist möglich. Neben den Ausbildungsberufen gibt es anerkannte IHK-zertifizierte Weiterbildungen zum „Call Center Agent IHK“ und als Aufstiegsqualifizierung den „Teamleiter Call Center IHK“. Infos: 18 92-201