Wer heute an den „Parsifal“ denkt, der denkt vielleicht nicht nur an Ritterburg und donnernde Gralsglocken, sondern hat womöglich auch Christoph Schlingensiefs Plüschhasen vor Augen oder den Kunst-Verstörer Jonathan Meese, der in Bayreuth 2016 für neue „Parsifal“-Provokationen sorgen will.

Das 21. Jahrhundert hat den Mythos um Wagners „Bühnenweihfestspiel“ nicht kleiner gemacht und die Erwartungen und Fragezeichen auch nicht. Und trotzdem ist „Parsifal“ im Aalto erst mal das Wagner-Werk, das in der langen, an Wagner-Ereignissen nicht armen Intendanz von Stefan Soltesz noch nicht herausgekommen ist, nimmt man die Frühwerke „Feen“ oder „Liebesverbot“ heraus. Dieser „Parsifal“ also ist das große Finale. Und schon die 130 Aalto-Statisten, die in jeder Schlussszene des 3. Aktes auflaufen sollen, deuten auf eine gewisse Monumentalität hin. Aber spektakulär? Joachim Schloemer, der mit Parsifal sein drittes Wagner-Werk und seine erste Oper am Aalto inszeniert, will keine aufsehenerregenden Bühnenmätzchen, sondern sich lieber auf Text und Subtext dieses gewaltigen Erlöser-Epos’ verlassen. Und vor allem auf die Musik, die alles Sinn- und Rätselhafte am Ende wie eine gewaltige berauschende Klangwolke mit sich reißt. „Mir geht es nicht um Spektakel bei dem Stück. Wir betreiben eher eine sehr reduzierte Form von Bühnenaufwand, das wirkt erst mal relativ simpel.“

Pathos und Askese

Schloemer kennt Essen noch aus seiner Studienzeit an der Folkwang-Hochschule. Aber das ist schon eine Weile her. Lange schon hat sich der Regisseur auch mit den Urstoff beschäftigt, mit Wolfram von Eschenbachs Versroman Parzifal und der Bedeutung dieses reinen Tors. „Da konnte ich in meiner jetzigen Lebenssituation wieder einhaken. Man muss schon einen persönlichen Bezug zum Thema finden.“

Im Zentrum seiner Inszenierung aber steht Amfortas. Dieser an Herz und Leib schwer verwundete Gralskönig, der nur durch jenen „durch Mitleid wissend gewordenen reinen Tor“ erlöst werden kann, wird omnipräsent auf der Bühne sein. Sein Leiden steht für das Leiden der Welt, für unser Leiden, für den allgegenwärtigen „Schmerzkörper“, den Schloemer zum Dreh- und Angelpunkt seiner Arbeit macht. Wie dieser Schmerz in die Welt gekommen ist, das hat den gebürtigen Monheimer an Wagner interessiert.

Schloemer, der sich selber als „spirituellen“ Menschen bezeichnet, hat sich dafür tief hineingebeugt in diesen ebenso phantastischen wie kryptischen Wagner-Kosmos, zusammengesetzt aus christlichen, buddhistischen, philosophischen Bezügen, aus Erlösungs-Pathos und Askese-Ideal, endlosem Blutfluss und Utopie einer besseren Welt, an dessen Entstehung Wagner Jahrzehnte gearbeitet hat. „Wagner hakt da ein, wo er die Menschen abholen kann. Und die größtmögliche Konnotation in jener Zeit ist der Glaube. So benutzt er Metaphern und Bilder aus dem christlichen Glauben, um einen Bezugsrahmen zu schaffen und baut darum etwas, das nicht religiös ist, sondern allgemeingültig zu deuten ist“, sagt Schloemer. Das ideologische Moment hat er ausgelassen. Auch wenn der „Parsifal“ so ein großartiges Stück sei, weil es für alles offen ist, findet Schloemer. Aber gerade das fordere Disziplin: „Man muss sich entscheiden!“